Viel Stoff für grüne Träume

In ihrem Wahlprogramm entwerfen die Grünen auf vierzig Seiten eine schöne neue Zukunft. Dass sie noch nicht Realität ist, liegt vor allem an der SPD

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Claudia Roth sagt, sie sei jetzt ziemlich froh, zufrieden und auch stolz. Es war nämlich „ein schönes Stück Arbeit“, das grüne Wahlprogramm zu schreiben. Als man schließlich fertig wurde, brach ein neuer Tag an „und die Vögel haben gezwitschert“. Wahrscheinlich vor Freude.

Alle sollen glücklich werden, wenn es nach den Grünen geht. Nicht nur die Tiere, die natürlich weiter geschützt werden. Sondern auch die Menschen – vor allem jene, die noch keine Arbeit haben. Deshalb steht zum ersten Mal nicht die Ökologie im Kapitel Nummer eins, sondern Arbeit. Das Programm, das Roth und ihr Chefkollege Reinhard Bütikofer gestern präsentierten, ist „eines für alle“. Oder, wie Bütikofer formulierte, „unsere Vorstellung davon, wie Politik im gesamtgesellschaftlichen Interesse gemacht werden soll“. Ganz schön staatstragend. Aber auch ganz schön kreativ. Wer die vierzig Seiten durchliest, bekommt viel Stoff zum Träumen.

Niemand muss mehr Angst vor Armut haben. Es gibt eine soziale, armutsfeste Grundsicherung und ein kostenloses Vorschuljahr für alle. Neue Umweltschutzideen schaffen Arbeit – und die wird gleichmäßig verteilt. Das bedeutet: mehr Jobs für viel mehr Menschen, bei kürzeren Arbeitszeiten, Mindestlöhnen und niedrigen Lohnnebenkosten. Alles solidarisch finanziert von den Starken, die den Schwachen helfen. Nach der Lektüre stellt man fest: Ja, es muss wirklich schön sein, in einem Land zu leben, in dem die Grünen an der Macht sind.

Ach, das waren sie bereits? Fast hätte man es, vor lauter Glück, vergessen. Doch auch für jene, die sich noch daran erinnern, dass die Grünen in den letzten sieben Jahren mitregierten, ohne dass auch nur eine dieser schönen Ideen umgesetzt wurde, hält das Programm Erklärungen parat. So ist ein eigenes Kapitel den „schwarzen und roten Blockaden“ gewidmet, die leider, leider eine schnellere Politik für das allgemeine Glück verhindert haben. Die CDU etwa, erfährt man, habe ihre Zustimmung zu den notwendigen Reformen „mit erpresserischen Forderungen verbunden“.

Daraus lässt sich zwar der böse Umkehrschluss ziehen, dass sich die Grünen bereitwillig erpressen ließen. Aber was hätten sie auch tun sollen? Schließlich stand als Partner nur eine „strukturkonservative Partei der großen Konzerne“, die SPD natürlich, zur Verfügung. Was man daraus nun wieder folgern soll? Eine rot-grüne Perspektive für die Zukunft kaum. Eigentlich legt das Programm nur einen Ausweg nahe: eine absolute Mehrheit für die Grünen, die aus ihren Fehlern (doch, die gab es!) gelernt haben. „Es war ein Fehler“, schreiben sie, „die Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in den letzten Jahren zu stark der SPD zu überlassen.“ Vor nicht allzu langer Zeit klang das noch anders. Da priesen sich die Grünen als „Reformmotor“, der den notwendigen Umbau des Sozialstaats erst richtig in Gang brachte. Als CDU-Politiker im Osten wagten, an Hartz IV herumzumäkeln, beschimpfte sie Bütikofer als „Memmen“ und „Weicheier“. Auch Kritik aus eigenen grünen Reihen wurde abgebügelt.

Vorbei. Inzwischen sagt der Parteichef selbst, zunehmend sensibler, Hartz IV sei doch „nicht armutsfest“. Und einige Forderungen der Linken, wie Grundsicherung und höhere Besteuerung von Reichen, wurden aufgenommen. Vage. „Wir formulieren keine Details“, erklärte Bütikofer. Es gehe um „Grundlinien“. Ob sich damit die Parteitagsmehrheit Mitte Juli auch begnügt? Der Chef der Grünen Jugend, Stephan Schilling, und Fraktionsvize Christian Ströbele kündigen bereits Änderungsanträge an: „Etwas konkreter muss es schon werden.“