OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Es ist nun auch schon über ein Jahr her, dass mit „Winnie Puuh“ der bislang letzte Disney-Film bei uns ins Kino kam, und der nächste Pixar/Disney-Film „Merida – Legende der Highlands“ startet erst Anfang August. Zum Glück kann man zwischendurch auf das umfangreiche Disney-„Archiv“ zurückgreifen, das bekanntlich nicht wenige Klassiker enthält – zumal das Mäuse-Imperium in den letzten Jahren einiges vom alten Schwung zurückgewann. Ein schönes Beispiel ist „Rapunzel – Neu verföhnt“, in dem die Regisseure Byron Howard und Nathan Greno einerseits auf das europäische Märchen – mit Prinzessin und böser Stiefmutter – zurückgreifen, um die Stimmung der traditionellen Disney-Filme zu evozieren. Andererseits bedient man sich ganz selbstverständlich der neuesten Computeranimations- und 3-D-Technik, denn die in traditioneller Handzeichnung hergestellten Filme im lyrisch-realistischen Stil, für den Disney einst so berühmt war, locken die Kinogänger ja leider nicht mehr in Massen an die Kassen. Neben der mutigen und neugierigen Rapunzel, die unbedingt das Leben jenseits ihres Turmes erkunden will, bestechen in der gelungenen Melange aus Screwballkomödie, Musical und Action vor allem die beiden animalischen Nebenfiguren, die ihr zur Seite stehen: Entgegen dem Trend zu ständig labernden „Sidekicks“ in Animationsfilmen sagen sowohl Rapunzels Chamäleon Pascal als auch das Pferd Maximus den ganzen Film über keinen Ton, sondern amüsieren mit Mimik und Körpersprache. (2.–3. 6. Central)

Zweifellos an ein anderes Publikum richtet sich David Lynch mit seiner ersten größeren Produktion „The Elephant Man“ (1980), in dem er die von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte von John Merrick (John Hurt) erzählt, der von einer seltenen Krankheit stark deformiert ist und sein Leben unter unwürdigen Umständen in einer Freak-Show fristen muss. Erst ein Arzt (Anthony Hopkins) vermag ihn davon zu befreien, doch nun wird der intelligente Merrick zum fragwürdigen Darling der Londoner High Society im viktorianischen England. Und so muss man sich in dem vom legendären Kameramann Freddie Francis mit harschen Schwarzweißkontrasten brillant fotografierten Drama immer wieder fragen: Wer sind die wahren Freaks? (OF, 31. 5.–1. 6. Arsenal)

Mit seinem Film „Die Liebenden“, in dem er die Liebesbeziehungen einer Mutter (Catherine Deneuve) und ihrer Tochter (Chiara Mastroianni) über mehr als 40 Jahre hinweg verfolgt und dabei ein weit aufgefächertes Panorama vom Umgang mit Sex und Gefühlen im Lauf der Jahrzehnte entwirft, stellt sich der Regisseur Christophe Honoré in die Tradition der Musical-Melodramen von Jacques Demy. Wie in dessen Filmen vertiefen und umspielen Chansons die Empfindungen der Protagonisten und ersetzen dabei teilweise die Dialoge. Das wirkt jedoch nicht unbedingt nostalgisch, sondern ist mit seinem Themen-Update – Tochter Véra verliebt sich tragisch in einen homosexuellen, HIV-infizierten Drummer – durchaus sehr heutig. (31. 5.–6. 6. Bundesplatz-Kino) LARS PENNING