Die fetten Jahre kommen noch

Der deutsch-kroatische Schauspieler Stipe Erceg ist noch nicht da angekommen, wo ihn die Kritiker sehen – und vielleicht gerade deswegen schon einen Schritt weiter. Er verkörpert wenig extrovertierte Schauspielschule und viel natürliche Zurückhaltung. Heute startet sein neuer Film „Stadt als Beute“

Eine eigene Art Mann, sensibel, nicht überintellektuell, mit EU-Einschlag

VON JENNI ZYLKA

Er sitzt schon im Café an der Kastanienallee in der 10-Uhr-Morgensonne, rührt schon im Kaffee, dreht schon Zigaretten, hat schon ein paar Stunden Tag hinter sich. Sein Wecker heißt Josko, ist ein Jahr alt und scheint zu unchristlichen Zeiten aufzustehen. Typisch kleines Kind eben. Stipe Erceg, schmal, schmaler Ehering, mit eckigen Schultern unterm T-Shirt, Jeans, einem dichten dunklen Haarschopf, bemerkenswerten Wangenknochen und abwartenden braunen Augen, erzählt noch ein bisschen von seinem Sohn, dem frühen Aufstehen und frühen Ins-Bett-Gehen, dem Spaß. Dann wendet sich das Gespräch dem Fußball zu. Denn fast das Einzige, was man momentan über Stipe Erceg, den gehörnten Pseudosponti „Peter“ aus „Die fetten Jahre sind vorbei“, den im Jugoslawienkrieg traumatisierten und daran fast zerbrechenden „Dejan“ aus der SWR-Produktion „Yugotrip“, den Kosovo-Albaner „Kiki“ in „Kiki und Tiger“, an Persönlichem im Netz findet, ist die Aussage, dass er mal Profifußballer werden wollte.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die Presse fängt nämlich in diesem Augenblick erst an, sich gnadenlos über ihn herzumachen. Trotz des Max-Ophüls-Preises als „Bester Nachwuchsdarsteller“ in „Yugotrip“, trotz der Nominierung für den „new faces award“ der Bunten, trotz einer subtilen Unvergesslichkeitsqualität, denn Erceg hat dieses besondere Gesicht. Stimmt das denn wenigstens, das mit dem Fußball? „Das stimmt schon“, sagt Erceg, „aber das ist schon lange her. Letztes Jahr wollte ich nach zehn Jahren mal wieder spielen, da hab ich mir gleich alles gerissen.“ Er spricht mit einem hauchdünnen schwäbischen Einschlag, den man in „Die fetten Jahre sind vorbei“ auch schon nur noch erahnte, jetzt, in seinem neuesten Film, einer Episode der Berliner René-Pollesch-Kinovariation „Stadt als Beute“, der heute in die Kinos kommt, ist er fast ganz weg. Erceg wurde zwar in einem kleinen Bergdorf in Kroatien geboren, kam aber 1978, mit vier Jahren, nach Tübingen. Er spricht beide Sprachen fließend, kroatisch mit seiner gesamten Familie, die noch dort wohnt, deutsch in seinem Leben hier. Beim Fußball hält er nicht zur kroatischen Nationalmannschaft, „die sind ja nicht so gut“, sondern gönnt es Hertha. „Schön, mal über Fußball zu reden“, lächelt er plötzlich.

Dann will man auch endlich über Filme sprechen. Bleibt aber wieder hängen: an seinem Vater, der sich momentan als Winzer in den kroatischen Bergen versucht, an der Qualität von kroatischen Weinen im Allgemeinen, an dem Hauswein seines Vaters im Besonderen – „sehr frisch, spritzig, man muss ihn ganz schnell trinken“, und an dem Problem, das Kroatien mit der EU hat: „Seit der Erweiterung geht es den Bauern schlecht“, denn die europäische Konkurrenz drückt auf die Preise. Und die schönen Strandgegenden werden von reichen Ausländern aufgekauft. „Nordkroatien wird halt so ’ne Art Florida.“

Erceg ist definitiv kein Schauspieler, der die ganze Zeit über sein Leben reden möchte. Aber jetzt über Film. Gibt es in Kroatien international bekannte Filmstars? Außer „Dr. Kovac“ aus „Emergency Room“? „Goran Visnjic heißt der, glaube ich“, nickt Erceg, aber in Kroatien gebe es eher Theaterstars, sagt er, nicht so viele allerdings. Ob er auch gerne Theater macht? Er hat seine Ausbildung schließlich am Europäischen Theaterinstitut in Berlin absolviert und stand auf einigen Bühnen: Studiobühne Hanns Eisler, Prater, Baracke am Deutschen Theater. Das letzte Engagement ist allerdings schon vier Jahre her. Seitdem läuft es mit den Filmen. „Was mir daran besser gefällt, ist das mit der großen Leinwand“, sagt Erceg und schwärmt ein bisschen davon, wie toll Filme wirken, wenn man sie in groß sieht und nicht, wie Stipe früher, als kleiner Junge, nur im Fernsehen, wenn seine Eltern als Lkw-Fahrer und Krankenschwester arbeiteten und er allein zu Hause herumhing. Er spricht von „Deer Hunter“, von „Taxi Driver“, überhaupt von den New-York-Filmen aus der Zeit, bei denen es nichts macht, „wenn man auch im Original nicht alles versteht“, und von der tollen Retrospektive vor zwei Jahren auf der Berlinale. „Aber wenn es mit dem Beruf nicht mehr läuft, ich halte nicht daran fest“, sagt er danach. „Ich glaube, ich würde dann nach Kroatien ziehen und auch Winzer werden.“ Er lacht zwar jetzt, aber es klingt ehrlich.

Erceg ist noch gar nicht da angekommen, wo ihn die KritikerInnen, die Talentscouts und JurorInnen, die Fans (seit „Die fetten Jahre sind vorbei“ haben ihn sogar schon hin und wieder aufgeregte Mädchen auf der Straße angesprochen, die vermutlich das Vincent-Gallo-hafte an ihm mögen) und die JournalistInnen bereits sehen und platzieren. Er ist intuitiv, unprätentiös, er macht das meiste unbewusst richtig, man sieht in seinem Spiel wenig extrovertierte Schauspielschule und viel natürliche Zurückhaltung. In seiner Nebenrolle bei „Stadt als Beute“ ist er zwar ein Callboy und Halsabschneider, der zusammen mit Julia Hummer als Callgirl eine Schauspielerin übers Ohr haut, aber er wirkt smart, nicht verschlagen, schüchtern-belustigt, nicht unverschämt. Eine eigene Art Mann, sensibel, nicht überintellektuell, mit exotischem – oder besser: EU-Einschlag. „Ich glaube, dass ich Glück hatte“, stapelt Stipe tief. „Vielleicht ist es wirklich ’ne Typfrage, aber Typen existieren ja nur zwei, drei Jahre – wenn man sich bis dahin nicht etabliert hat, wird man gefeuert.“

Und schon spaziert das Gespräch wieder vom Film weg, auf sonstige Hobbys. „Kochen und Essen“, sagt er, seit das Kind da ist, koche man noch mehr zu Hause. Außerdem lese er gerade ein Buch über Ratzinger, „ein spannendes Buch“, sagt er, „Glaube und Religion interessieren mich sehr.“ Er ist katholisch getauft, kommt aus einem schwer katholischen Land, in dem Religion für viele einen anderen Stellenwert hat – kein typisches Schauspielerthema. Aber Erceg ist eben auch kein typischer Schauspieler.