schwabinger krawall: schafe, blitz und donnerwetter von MICHAEL SAILER
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Der kleine Kevin möchte wissen, wieso man „Schafskälte“ sagt, wenn es 32 Grad hat. Das, sagt Onkel Rainer, komme daher, dass es zwar eine Sonneneinstrahlungstemperatur gebe, durch die aber ein kühler Wind hindurchpfeife, der die frisch geschorenen Schafe zum Frösteln bringe, obwohl er auf dem Thermometer nicht angezeigt werde, weil ein solches nicht dafür gebaut sei, Luftbewegungen zu registrieren. Schmarrn, sagt der Kevin. Er spüre keinen Wind, schon gar keinen kühlen, und deshalb werde er mit dem Finn zum Waldschwaigsee fahren.

Das komme nicht in Frage, braust die Mama auf, dass ein 13-jähriger Bub alleine bis nach sonstwohin radle. Er fahre nicht allein, werde bald 14, und nie dürfe er was, quengelt der Kevin. Es gehe sowieso nicht, sagt Onkel Rainer, wegen der Schafskälte, da hole man sich eine Sommergrippe. Er habe schon seit Dienstag so ein Kratzen im Hals. Der Sommer, schreit der Kevin, fange erst später an, das Kratzen komme von seinen Stinkzigaretten, und die Schafskälte gebe es gar nicht, das sei purer Elternterror. Die Mama hält sich den Kopf fest und holt das Aspirin. Ob er nicht einfach ins Ungererbad fahren könne mit seinem Finn, seufzt sie. Im Ungererbad, behauptet der Kevin, regne es immer. Der Bub fahre überhaupt nirgends hin, brüllt Onkel Rainer. Wenn jetzt nicht eine Ruhe werde, sei ihm der ganze Samstag verdorben, und dann gebe es morgen auch kein „Enterprise“, sondern es werde um Schlag sieben ins Bett gegangen und aus. Es sei sein Wochenende, plärrt der Kevin, mit dem er machen könne, was er wolle, und sonst laufe er weg. Mit rotem Kopf steht Onkel Rainer auf, grunzt wütend und stampft ins Wohnzimmer.

Kaum ist er draußen, sagt der Kevin leise, dann fahre er halt in dieses Ungererbad, auch wenn das fad sei und es dort garantiert regnen werde. Die Mama zählt die Kaffeeflecken auf der Tischdecke. Der Kevin rafft mit überdrüssigen Ächzlauten Badehose, Handtuch, einen Stapel Comic-Hefte, die Wasserpistole und weitere Badegerätschaften zusammen. Ob er nicht gehört habe, brüllt Onkel Rainer über den Fernseher hinweg, in dem ein Selbstmordattentat gezeigt wird. Es gelte immer noch, was die Erwachsenen sagen, und er bleibe auf der Stelle da. Doch da fällt die Tür ins Schloss; für einen Augenblick herrscht Stille, dann zischt das Aspirin im Glas, und Onkel Rainer holt sich ein Weißbier aus dem Kühlschrank. Das sei zum Wahnsinnigwerden, sagt er. Wer hier nicht wahnsinnig werde in dem Wahnsinn, der könne wahrscheinlich gar nicht wahnsinnig werden. Die Mama lächelt ein bisschen, aber niemand sieht es.

Am Sonntag fängt der Kevin an, sich zu räuspern. Aha, sagt Onkel Rainer, da habe man es, und ob es jetzt besser sei. Der Kevin sagt nichts, weil ihm der Hals wehtut. Später klingelt sein Freund Solkan an der Tür und fragt, wieso der Kevin am Samstag nicht im Ungererbad war, und da stellt sich heraus, dass der Bub doch zum Waldschwaigsee gefahren und dort von einem Hagelsturm überrascht worden ist, weswegen er mit nassen Kleidern heimradeln musste. Er bleibt den ganzen Tag im Bett und fragt mit müder Stimme, ob Onkel Rainer ihm „Raumschiff Enterprise“ aufnehmen könne. So weit komme es noch, brummt dieser und legt eine Kassette ein.