Brüssels Zuckerpläne stoßen bitter auf

Die EU-Kommission will die Preise für europäischen Weißzucker um 39 Prozent senken und damit den Produktionsanreiz verringern. Den Bauern soll die Reform mit Extrazahlungen versüßt werden. Kritik kommt von NROs und EU-Parlamentariern

AUS BRÜSSEL RUTH REICHSTEIN

Mitten in der neu entflammten Diskussion über die Gemeinschaftliche Agrarpolitik hat die Europäische Kommission gestern ihre Vorschläge für die so genannte Zuckermarkt-Reform vorgestellt. Damit soll dieser Sektor den Anforderungen der Welthandelsorganisation WTO angepasst werden. Künftig sollen nun die garantierten Abnahmepreise für Weißzucker um 39 Prozent gesenkt werden. Als Ausgleich will die Kommission den EU-Bauern 60 Prozent ihres Einnahmeverlusts in Form von Betriebsprämien erstatten.

„Diese Reform hätte zerstörerische Auswirkungen – vor allem für die ärmsten Länder der Welt“, kommentierte die Nichtregierungsorganisation (NRO) Oxfam gestern das Papier. Für die ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP-Staaten), für die praktisch die gleichen Garantiepreise gelten wie für EU-Bauern, sei der Verkauf in die EU dann kaum noch möglich. Allein der Transport sei viel zu teuer. Zwar hat die Kommission zusätzlich zur Reform ein Hilfsprogramm für die ärmsten Länder beschlossen, dieses reicht den NROs aber nicht: Während die Kommission für 2006 eine Hilfe von 40 Millionen Euro bereitstellen will, fordern Oxfam und der WWF mindestens 500 Millionen Euro.

„Zu dieser tiefgreifenden Reform gibt es keine Alternative. Wir müssen uns an den Weltmarkt anpassen“, verteidigte Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel ihre Reform. Die Abnahmepreise in der EU liegen tatsächlich deutlich über Weltmarktniveau. Der Unterschied wird aus Subventionen bezahlt. Mit ihrem Vorschlag will die Kommission die Überproduktion in den Mitgliedsstaaten senken und den Dumpingpreisen ein Ende bereiten.

Kritik an dem Vorschlag kam gestern nicht nur von zahlreichen NROs, sondern auch aus dem EU-Parlament. Die Abgeordneten befürchten nicht nur für die Entwicklungsländer negative Auswirkungen: „In vielen EU-Ländern wird es keine Zuckerproduktion mehr geben. Die Bauern rechnen mit massiven Einnahmeeinbrüchen“, sagte Albert Dess, der für die EVP im Landwirtschaftsausschuss des EU-Parlaments sitzt.

In den Niederlanden etwa rechnen die Bauern mit einem Verlust von bis zu 10.000 Arbeitsplätzen. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Zuckerbauern in Europa keine großen Flächen bewirtschaften. Deshalb ist für sie eine so starke Preissenkung besonders schmerzlich. „Hierzulande beträgt die Anbaufläche durchschnittlich 9,2 Hektar. In Brasilien umfasst der kleinste Betrieb 1 Million“, sagte Dess. Insgesamt sind rund 350.000 Familien in ganz Europa von der Zuckermarktreform betroffen, 48.000 Bauern leben in Deutschland.

Der Grünen-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf schloss sich der Kritik an: „Es ist Nonsens, die Preise für Zucker zu senken und dann Milliarden für Quotenaufkaufprogramme, Umstrukturierungshilfen und Ausgleichszahlungen auszugeben. Das ist weggeschmissenes Geld, denn es bringt keine positiven wirtschaftlichen Effekte.“ Graefe zu Baringdorf schlägt stattdessen vor, die Preise lediglich um 20 Prozent zu senken, dafür aber die teuren Ausgleichszahlungen einzusparen.

Die Abgeordneten bezweifeln auch, dass die Verbraucher von den Preissenkungen profitieren. Dess: „Coca-Cola wird seine Getränke kaum plötzlich billiger verkaufen, nur weil der Zucker weniger kostet. Der Unterschied wird als zusätzlicher Gewinn eingestrichen.“ Der umstrittene Vorschlag geht nun an die Mitgliedsstaaten. Der Rat will voraussichtlich im November darüber beraten.