kritisch gesehen: Die Streichung der bösen Frau
Vom Wahnsinn getrieben spuckt ein fragiler Mann mit Geifer im Mund dem Publikum Monologe entgegen. Währenddessen wäscht er sich mit eimerweise Kunstblut die Hände. Ein von Hexen dirigierter krakeelender Mädchenchor erscheint rechts und links zu Seiten des Publikums und schreit lauthals auf diesen sichtlich derangierten Typen ein. Allein und verlassen steht Macbeth auf der Bühne, einzig begleitet von seinen Wahnvorstellungen und Zwangsstörungen, die des Königsmörders ganzen Körper durchziehen.
Das Deutsche Schauspielhaus feierte am 5. Oktober Saisoneröffnung mit einer Premiere von William Shakespeares Macbeth. Karin Henkel führte dabei bereits zum zweiten Mal Regie bei diesem Klassiker, in dem es um den Feldherren Macbeth geht, der dank des Mordes an König Duncan von Schottland selbst zum Herrscher aufsteigt. Zunehmend verfällt Macbeth dem Wahnsinn und begeht eine Reihe weiterer Morde. So weit, so vertraut.
Hatte Henkel in ihrer ersten Inszenierung in den Münchener Kammerspielen 2011 Macbeth noch mit einer Frau besetzt und damit die bereits im Originaltext angelegte Verkehrung des konventionellen Geschlechterverhältnisses auf die Spitze getrieben, wurde diesmal ganz auf die Figur der Lady Macbeth verzichtet. Das Ergebnis dieses Kunstgriffs kann sich über weite Teile sehen lassen.
Zu verdanken ist das vor allem Hauptdarsteller Kristoff Van Boven: Der verleiht dem Wahnsinn durch geradezu tänzerischen Körpereinsatz in langen Monologen Ausdruck. Sein Macbeth ist eine gänzlich verlassene Figur. Zusammen mit einem tollen Mädchenchor treiben die Hexen sie vor sich her. Alles fokussiert sich ganz auf Macbeth und seinen Wahn, der sich tief in seinem Körper eingenistet hat.
Doch genau darin liegt auch die größte Schwäche der Inszenierung. Da Außen und Innen der Hauptfigur verschwimmen, stellt sich nichts Macbeth und seinem Willen zur Macht entgegen. Die Handlung rauscht nur so dahin, ohne nennenswerte Konflikte oder Entwicklung der Charaktere. Karin Henkel begnügt sich damit, den Wahnsinn als pathologische Antriebsfeder von Herrschsucht darzustellen. Sie findet eindrucksvolle Bilder dafür – denen aber jenseits des Effekts die Komplexität fehlt. Mathias Propach
Macbeth, Schauspielhaus Hamburg, wieder am 13. 10., 12. 11. & 20. 12., jeweils 19.30 Uhr
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