Erde nach Berlin tragen

POLITKUNST Eine Oldenburger Bundestagsabgeordnete sammelt in ihrem Wahlkreis Material für das Reichstags-Kunstwerk „Der Bevölkerung“

Der Erdhügel mit dem Schriftzug „Der Bevölkerung“, vom Konzeptkünstler Hans Haacke im Lichthof des Berliner Reichstags installiert, wächst demnächst wieder ein bisschen an: Die Bundestagsabgeordnete Christiane Ratjen-Damerau sammelt zurzeit Erde in ihrem Wahlkreis Oldenburg-Stadt/Ammerland, um sie dem seit elf Jahren vor sich hin wuchernden Kunstwerk hinzuzufügen.

Die Idee hinter dem umstrittenen Objekt war, den Trog mit Erde aus allen deutschen Wahlkreisen zu füllen. Die Beschriftung „Der Bevölkerung“ war gezielt der Inschrift „Dem deutschen Volke“ am Eingangsportal des Hohen Hauses entgegengesetzt worden. Um diese Frage – wer nun eigentlich das Volk sei – gab es ebenso heftige Auseinandersetzungen wie um die künstlerische Ausführung Haackes: Eine Reminiszenz an Blut-und-Boden-Ästhetik sahen manche Kritiker darin, eine „skurrile Bundesgartenschau“ nannte der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert das Projekt; die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete es gar als verfassungswidrig. Installiert wurde es erst nach einer Kampfabstimmung im Parlament – mit zwei Stimmen Mehrheit.

Der Oldenburger Kunstlehrer Rolf Künzel hat die halbwegs eingeschlafene Idee mit einer Schülergruppe wiederbelebt, nachdem Ratjen-Damerau 2010 in den Bundestag nachgerückt war: Wie alle Abgeordneten hatte sie da von der Verwaltung einen vorbereiteten und fertig bedruckten Jutesack zugesandt bekommen. Die Erde entnehmen beide nun an Orten, die für kulturelles Miteinander stehen, etwa aus dem interkulturellen Gartenprojekt eines Oldenburger Stadtteiltreffs – nicht zuletzt möchte Künzel die Aktion als Zeichen gegen rechts verstanden wissen.

Die studierte Landwirtin Ratjen-Damerau greift zum Spaten und schippt drei, vier Ladungen in den Sack; Menschen aus einem guten Dutzend Nationen sehen zu, das Ganze soll auch Distanzen zwischen Politikern und Bürgern abbauen helfen: Letztere nämlich sollen der Abgeordneten auch „ihre Wünsche und Sorgen mit auf den Weg geben“, heißt es. Wo doch in Berlin ansonsten „immer bloß auf die Interessen von Wirtschaft und Industrie geschaut“ werde, wie die Parlamentarierin sagt. Ratjen-Damerau ist übrigens Mitglied der FDP.

Ob sich die Landverschickung als politische Teilhabe der Bevölkerung herausstellt oder doch über einen bloßen PR-Effekt nicht hinausgehen wird, sagt Künzel, werde sich zeigen. Immerhin werde die Abgeordnete Ratjen-Damerau jedes Mal, wenn sie den Haacke’schen Erdtrog sehe, an eines erinnert: was die Menschen ihr gesagt haben, als sie schaufelte.  MAIK NOLTE