Drohung mit der Zwangsspritze

Feuerbergstraße: Weil Psycho-Pillen ohne Elterneinwilligung gegeben wurden, sprechen GAL und SPD von „Körperverletzung im Amt“. Staatsanwaltschaft leitet Vorermittlungsverfahren ein. Sozialbehörde lässt Landesbetrieb die Sache auslöffeln

von Kaija Kutter

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) sei überflüssig, hatte die Riege der CDU-Jugendpolitiker bei der ersten PUA-Sitzung getönt, man könne alle Fragen zur Feuerbergstraße auch ganz normal im Jugendausschuss klären. Doch die GAL-Abgeordnete Christiane Blömeke und der SPD-Politiker Thomas Böwer lieferten gestern den Beleg, dass der PUA bitter nötig ist. Denn nur durch ihn erhielt das Parlament eine detaillierte Einsicht in alle Akten. Und was die beiden darin zum Thema Psychopharmaka aufspürten, reichte der Staatsanwaltschaft am Nachmittag bereits, um ein „Vorermittlungsverfahren“ einzuleiten wegen „Körperverletzung im Amt“. „Die Staatsanwaltschaft erwartet, dass der PUA ihm die notwenigen Akten, aus denen sich die Vorwürfe erschließen, übergibt“, erklärt Pressesprecher Rüdiger Bagger

Dass in dem geschlossenen Heim im großen Stil die Neuroleptika „Truxal“ und „Risperdal“ an zehn Jugendliche verabreicht wurden, wobei dies in neun Fällen erstmals dort geschah, hatte Blömeke bereits im März durch eine Kleine Anfrage erfahren. Aus den PUA-Akten ergibt sich aber nun, dass dies in vielen Fällen ohne Einverständniserklärung der Sorgeberechtigten erfolgte. Ein Umstand, der die Medikamentengabe nach Ansicht der „Neuen Richtervereinigung“ zur „strafrechtlich relevanten Körperverletzung“ macht, selbst wenn dies Ärtzte verschreiben. Eine Einschätzung, der sich jetzt auch Böwer anschloss: „Wenn in fünf von zehn Fällen das Einverständnis der Sorgeberechtigten fehlt, ist der Tatbestand der Körperverletzung im Amt meines Erachtens virulent“, erklärte er. Mediziner hätten ihm zudem berichtet, dass bei diesen Medikamenten eine regelmäßige Blutbilduntersuchung nötig sei. Böwer: „So etwas findet sich in den Unterlagen nicht.“

Dafür aber Hinweise, dass die Sorgfalt bei der Dosierung der Psychohammer „zu wünschen übrig lässt“, wie Blömeke berichtet. Einmal taucht „Truxal-Saft“ als „Beruhigungsmittel“ in den Akten auf, das „bei Bedarf“ einem der Jungen verabreicht werden könne. Ein anderes Mal wurde einem Jungen von einem Arzt eine hohe Dosis Risperdal gegeben, um ihn gegen seinen Willen in die Feuerbergstraße zurückzuführen. „Er ließ sich danach weitestgehend widerstandslos von Mitarbeitern der Feuerbergstraße in Handschellen zurück ins Auto führen“, heißt es in den Akten.

Acht Jugendliche haben die Medizin verweigert. Daraufhin, so Blömeke, sei den Akten zufolge auch mit Drohungen reagiert worden: „Ich habe ihm klar gesagt“, wird da ein Mitarbeiter zitiert, „entweder er nimmt Risperdal oder es gibt per Zwang die Depotspritze.“

Die Sozialbehörde wollte sich gestern nicht äußern und verwies auf den untergeordneten Landesbetrieb Erziehung (LEB). Dessen Leiter Klaus-Dieter Müller sprach von einer „abstrakten Rechtsfrage“; Die Jugendlichen seien bis auf einen Fall über die Medikamente aufgeklärt worden und hätten erkennen lassen, „dass sie es o.k. finden“. Dies sei protokolliert. Die Einrichtung übe auch „keine Zwangsmedikamentierung“ aus. Sollte das Zitat mit der Spritze tatsächlich gefallen sein, wäre dies für Müller „ein schlechter Stil“.