fußball, tod und perversion von WIGLAF DROSTE
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Am 2. April 2005 starb Papst Johannes Paul II., um 21 Uhr 37. Es war ein Samstag, kurz zuvor hatte er noch die deutsche „Sportschau“ gesehen, mit Reinhold Beckmann, der die Begegnung zwischen den Traditionsclubs Schalke 04 und dem 1. FC Nürnberg so ankündigte: „1934, damals, als das Wünschen noch geholfen hat …“ Wahrscheinlich liefen die Trainer damals direkt zum Führer und bettelten um einen Endsieg.

Eine halbe Stunde später gab Beckmanns Kollege Steffen Simon der Menschheit ein anderes Rätsel auf und sprach: „Frostiger Fußball glänzt nicht.“ In seinem vatikanischen Bette liegend, grübelte der päpstliche Altpole verzweifelt: Was meint der denn nur damit? Doch er fand den Sinn der Worte nicht mehr. Ungetröstet und unerlöst verließ er diese Welt, auf den blauen Lippen die Frage: „Frostiger Fußball glänzt nicht – o Herr, was willst Du mir damit sagen? Lass diesen Kelch an mir vorübergehn!“ Doch Gott erhörte ihn nicht – einen Stellvertreter hat man schließlich, damit der die Arbeit erledigt und man selbst den lieben Gott einen guten Mann sein lassen kann.

Anderntags spielte Borussia Dortmund im Westfalenstadion gegen Hertha BSC. Freund Fritz Eckenga berichtete später von seltsamen Vorgängen: Der Dortmunder Stadionsprecher Norbert Dickel forderte die Stadionbesucherschaft auf, sich für eine Schweigeminute zugunsten des verstorbenen Papstes zu erheben. Das Publikum kam dem auch einhellig nach, allein Fritz Eckenga blieb sitzen.

Seine just aufgestandenen Sitzplatznachbarn murrten ihn an, sie glaubten ja auch nicht an das Zeug, aber für den Mann könne er ruhig einmal aufstehen. Eckenga aber blieb sitzen und erwiderte: „Der Mann ist Schalker. Der Papst war Ehrenmitglied bei Schalke 04. Und für ’nen Schalker steh ich nicht auf.“ Woraufhin die noch stehende Nachbarschaft sich sehr beeilte, wieder auf die Hintern zu kommen. Das Spiel endete 2:1 für Dortmund, und das Verdienst daran gebührt einzig dem strammstehresistenten Fritz Eckenga.

Wenn eine Fußballsaison abgespielt ist, hat der menschliche Kopf bis zum Beginn der nächsten Runde Fernsehfußballpause. Die braucht er auch dringend, denn was die rhetorischen Gulaschkanonen aus der Welt des Sportfernsehens angerichtet haben, muss durch Zufuhr von sehr viel Liebe, Schönheit und Intelligenz kompensiert werden. Das braucht Zeit, die nicht durch Konförderationen-Pokale und WM-Propaganda vergeudet werden darf.

Doch die sadistisch motivierte Beckenbauersorte Mensch ist fest entschlossen, bis zum Sommer 2006 durchzunerven. „Eine solche Chance kommt die nächsten 50 Jahre nicht wieder!“, jubelt Beckenbauer im Bahngratismagazin mobil. Der Duzdudelsack Waldemar Hartmann freut sich auch schon eine Schweinshaxe zwischen die Ohren, und die Hersteller von „Premium-Pils“ genannter konfektionierter Plörre wie die Giftmischer von McDonald’s reiben sich die Hände.

Wenn Fußballer in Schwarzrotgold kleine Kinder in McDonald’s-Werbetrikots an der Hand über den Rasen führen, finden Nationalismus und Zuhälterei perfekt zueinander. Perverser geht es nicht; in den Köpfen, die das ersinnen, ist schon lange niemand mehr zu Hause.