Befreiendes Gefühl auf heiligem Rasen

Florian Mayer schlägt den Spanier Fernando Verdasco und steht in der dritten Runde in Wimbledon. Dort könnte er auf Nicolas Kiefer treffen, allerdings nur, wenn der den Weltranglistenersten Roger Federer schlägt

WIMBLEDON taz ■ Als er im Spiel gegen den Spanier Fernando Verdasco nach einem Volley hechtete und den Ball in voller Streckung erwischte, da rief einer auf den Rängen gleich: „Boris!“ Florian Mayer nahm‘s als Kompliment, freute sich über die gelungene Aktion und machte so weiter. Spielte seine listigen Stopps, die eingesprungene Rückhand und war mit sich und seiner Leistung zufrieden. Zufrieden? Es ist mehr. Zum ersten Mal in diesem Jahr hat er das befreiende Gefühl, wieder auf den richtigen Wegen zu wandeln. Man erinnert sich: Vor einem Jahr besiegte der Jüngling Mayer, damals 20, in Folge die Kollegen Arthurs, Coria, Ferreira und Joachim Johansson, landete quasi aus dem Nichts kommend im Viertelfinale des berühmtesten Tennisturniers der Welt. Die Engländer fragten: Wer ist dieser Mayer? Die Deutschen dachten: Vielleicht wird’s ja was mit dem. Und Mayer meinte: Mensch, ich gehöre jetzt wirklich dazu. Ende des Jahres hatte er das gedachte Klassenziel – ein Platz unter den Besten 50 der Weltrangliste – als 37. klar unterboten.

Doch damit war die kleine Geschichte eines überraschenden Aufstiegs erst mal beendet; 2005 passte bisher nicht viel zusammen. Zuerst war er krank, und bis auf das Masters-Turnier in Miami in März, bei dem er das Achtelfinale erreichte, gewann er bis Juni nie mehr als ein Spiel; oft wirkte er fahrig und unkonzentriert. Im Frühjahr klagte Trainer Ulf Fischer, der gute Florian höre manchmal einfach nicht mehr zu, und der reagierte auf Kritik recht schnell beleidigt. Manches sieht er inzwischen etwas klarer. „Ich weiß, ich war oft selbst schuld, und hab viele Matches verschenkt.“ Bevor er nach London flog, stand die Bilanz von Sieg und Niederlage bei 8:14, doch allein die Vorstellung, wieder auf Rasen spielen zu können, machte ihm Beine. „Ich hab mich voll darauf gefreut“, sagt er, und seit er die Tore Wimbledons passiert hat, ist die Freude von Tag zu Tag gewachsen. Bereits nach dem Sieg in der ersten Runde meinte er, die Lockerheit des vergangenen Jahres sei wieder da, in Runde zwei freute er sich über ein größeres Publikum und eine Steigerung im Spiel, und hinterher sagte er, die Rückkehr nach Wimbledon käme ihm wie ein Befreiungsschlag vor, wenn auch einstweilen ein Befreiungsschlag im Verborgenen. Denn auf die Frage, ob er denn in den vergangenen Tagen abseits seiner Spiele von den Leuten auf der Anlage erkannt worden sei, ob man ihn vielleicht auf den Erfolg vom vergangenen Jahr angesprochen habe, huschte ein leichtes Grinsen über sein Gesicht, bevor er antwortete: „Mich kennt hier keiner – und das ist auch gut so.“

Frech spielen und gewinnen ist eine Sache, hinterher darüber zu referieren und mit Spaß ein Darsteller zu sein, ist die andere. Pete Sampras hat früher gern gesagt: I let my raket do the talking, und auch wenn Mayers Schläger nur mit gewissen Einschränkungen die gleiche Sprache spricht, so stimmt doch der Vergleich. Nächste Gesprächsrunde? Freitag im Spiel der dritten Runde gegen den Spanier Juan-Carlos Ferrero, den Sieger der French Open 2004. Und danach vielleicht gegen Nicolas Kiefer? Die Ironie in der Frage nimmt Mayer nicht zur Kenntnis, antwortet darauf eher der Wahrheit entsprechend: „Na, das wäre ja wohl eine Überraschung.“ Das kann man so sagen. Denn eine Begegnung zwischen den deutschen Konkurrenten Mayer und Kiefer in Runde vier setzte einen Sieg Kiefers am Freitag gegen Roger Federer voraus. Tja, was soll man dazu sagen? DORIS HENKEL