Keine Freude am Rat

CDU/CSU wollen den Nationalen Ethikrat am liebsten abschaffen. Der Kanzler ignoriert dessen Fachleute gern. Wollen Sie sich etwa selbst um die letzten Fragen kümmern?

Wo es um die großen Fragen von Leben und Tod geht, ist jeder Laie und Experte zugleich – theoretisch. In Wirklichkeit gibt es natürlich Expertinnen und Experten, die sich mit Wissen und Verstand schon ihr ganzes Leben mit diesen fast letzten Fragen beschäftigen: Wann beginnt menschliches Leben? Wann ist der Mensch tot? Oder etwas konkreter: Wenn schon die befruchtete Eizelle ein beginnender Mensch ist, darf diese dann geopfert werden, um anderen Menschen zu helfen, die krank sind?

Wer darauf keine schnellen Antworten weiß, ist in guter Gesellschaft: Auch die Italienerinnen und Italiener konnten auf solche schwierigen Fragen nicht einfach mit Si oder No antworten und verweigerten sich deshalb vor kurzem mehrheitlich einer Volksabstimmung, die ihnen diese großen Fragen vorlegte – und die katholische Kirche kochte ihr eigenes Süppchen dabei. Da haben wir es in Deutschland vielleicht besser, denn hier gibt es den Nationalen Ethikrat, der solche hochkomplexen und weitreichenden Fragen behandelt. Gestern hat er sich im Beisein von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach vier Jahren turnusgemäß neu konstituiert. Vielleicht zum letzten Mal.

Denn Maria Böhmer, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, verkündete zugleich, für sie sei der Fortbestand des Gremiums „mehr als fraglich“, auch weil der Rat aufgrund seiner Entstehungsgeschichte „weder unabhängig noch unvoreingenommen“ agieren könne. Das bedeutet dechiffriert nichts anderes als: Wenn wir dran sind, schaffen wir die Schwatzbude ab!

Das ist ziemlich unverfroren. Denn auch wenn es tatsächlich Schröder selbst war, der den Ethikrat vor vier Jahren mit einigem Brimborium einsetzte, so hat doch der Rat in den vergangenen Jahren angesichts seiner Zusammensetzung und seiner oft durchaus sperrigen Empfehlungen ausreichend bewiesen, dass da keine regierungsfreundlichen Abnicker versammelt sind. Erinnert sei etwa an die Stellungnahme des Rates zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen im Dezember 2001: Damals sprach sich die Mehrheit der 25 Fachleute unter anderem der Medizin, Ethik, Biologie und Theologie dafür aus, dass die Politik die Einfuhr dieser menschlichen Embryonen nur befristet und unter strengen Auflagen zu Forschungszwecken erlauben sollte.

Das schmeckte Schröder sichtlich schon damals nicht. Und erst neulich hat der Kanzler mit seinem wirren Vorstoß für mehr Forschung dieser Art in Deutschland gezeigt, dass er den Ethikrat am liebsten nur beachtet, wenn dessen Antworten auf die vorletzten Fragen in seinem (meist neoliberalen) Sinne sind. Dass die Union den Rat jetzt gar abschaffen will, spricht Bände darüber, welche Grenzen sie der Wirtschaft und Forschung bei einem möglichen Regierungswechsel setzen will: nämlich möglichst keine. Die Tatsache aber, dass die Regierung den Ethikrat gern ignoriert und die jetzige Opposition ihn vielleicht gar auflösen wird, ist fast das beste Argument dafür, ihn zu erhalten. PHILIPP GESSLER