Ein Gesetz aus purer Kampfeswut

Wer Jürgen Trittin derzeit auf der politischen Bühne agieren sieht, findet viele Gründe, sich zu wundern. Zum Beispiel gestern: Der grüne Bundesumweltminister stellte vor kleiner Schar einen Entwurf für die Suche nach einem atomaren Endlagers vor

AUS BERLIN NICK REIMER

Dieser Mann denkt nicht ans Aufhören. Jürgen Trittin ist Umweltminister. Immer noch. Gestern hat er ein neues Gesetz zur Suche eines atomaren Endlagers vorgestellt. Und das in einer Weise, als sei nichts passiert. Jedenfalls nichts Entscheidendes.

Berlin, großer Saal der Bundespressekonferenz. Nicht einmal ein Dutzend Journalisten sind gekommen. Ein Kamerateam filmt von draußen – der Symbolik wegen: Scheinbar niemand interessiert sich noch für das, was der mutmaßlich zukünftige Exumweltminister zu sagen hat. „Das Gesetz ist nicht bundesratszustimmungpflichtig“, erläutert Jürgen Trittin verbindlich. Im Kern setze es die Empfehlungen des Arbeitskreises Endlager um, die dieser im Dezember 2003 ausgesprochen habe. „Wir wollen einen Verband ins Leben rufen, der eine unvoreingenommene, deutschlandweite Suche nach einem geeigneten Endlager organisiert“, – Trittin legt jenen Knapp-über-die-Köpfe-des-Publikums-hinweg-Blick an, den er einzusetzen pflegt, wenn es darum geht, kompliziertere Fachdetails möglichst plastisch zu schildern. „Alle Unternehmen, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben oder betrieben haben, sollen Pflichtmitglieder werden.“ Und die Suche natürlich finanzieren: Kosten zwischen 500 und 700 Millionen Euro seien veranschlagt.

Jedenfalls soll der Verband unter Aufsicht „seines“ Ministeriums ein Suchverfahren organisieren. Irritiert bis belustigt hören die Journalisten zu. Natürlich hat das Vorgetragene nicht die leiseste Realisierungschance. Glaubt Trittin etwa, was er da sagt? Nicht, dass der Umweltminister die Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt. Jürgen Trittin weigert sich lediglich, die aktuelle Stimmungslage auch schon als Wahlergebnis zu akzeptieren. Seine Umgebung fühlt sich an den Jürgen Trittin aus dem Juni 2002 erinnert. „Damals hat er immer wieder erklärt, was die SPD an Stimmen verliert, holen wir Grünen wieder rein“, sagt ein Vertrauter.

Trittin ist also im Wahlkampf. „Ein Drittel der Atomausstiegs-Reststrommenge ist produziert, die zwei anderen Drittel werden 5.800 Tonnen atomaren Mülls verursachen. Laufen die AKWs bis 2039 weiter – wie von der CDU geplant – wird sich die Müllmenge mehr als verdoppeln.“

Dann ist Wolfram König dran, Chef des Bundesamts für Strahlenschutz, der den amtseigenen Jahresbericht vorstellt. Trittin senkt den Blick, sackt auf seinem Stuhl zusammen. Vielleicht trauert er seinem schönen Gesetzentwurf nach, der nicht einmal mehr im Bundestag eingebracht wird. Vielleicht wird ihm angesichts der gähnenden Leere im Saal sein Bedeutungsverlust bewusst. Vielleicht interessiert er sich aber auch nur nicht sonderlich für die Details.

König vermeldet „keine neuen Erkenntnisse“ über die Gefahren von Handystrahlung, warnt vor den „besonders jetzt im Sommer“ krebserregenden Sonnenstrahlen, benennt ein „ernsthaftes Problem“: radioaktives, natürliches Radon. Über Keller dringt es in Wohnungen ein – 3.000 Menschen würden jedes Jahr daran sterben.

„Um das Risiko zu minimieren, erarbeiten wir gerade Vorschläge an den Umweltminister“, erklärt König. Plötzlich ist Trittin wieder hellwach. Er nickt zustimmend, furcht ob des Übels seine Stirn – als wolle er sagen: „Genau das Richtige für mich.“

Niemand im Saal glaubt, dass der Umweltminister im Herbst Jürgen Trittin heißt. „Wieso kommen Sie in der jetzigen Situation überhaupt noch mit einem Gesetzentwurf“, fragt ein Reporter. Trittin guckt, als verstünde er die Frage nicht. Dann sagt er: „Das steht so im Koalitionsvertrag.“

Gesetzentwurf: www.bmu.de