AUFMERKSAMER MITBÜRGER
: Der Spielplatzpolizist

Mein Sohn flitzte sofort zum Sandkasten

Andere Gegend, andere Sitten. Eigentlich kann man vermuten, dass am spießigen Stadtrand die soziale Kontrolle höher ist als in der Innenstadt. Aber das stimmt offenbar nicht – zumindest nicht auf Spielplätzen. Es war ein schöner Sonntag im Frühling. Am Vortag waren wir noch auf dem Spielplatz in unserer Gartensiedlung am Stadtrand gewesen: Bei sonnigem Wetter hatten sich dort nur rund 15 Kinder getummelt. Entsprechend groß war mein Schock, als wir tags darauf auf dem überfüllten Spielplatz in Kreuzberg ankamen. Mein sechsjähriger Sohn flitzte sofort zum Sandkasten mit der Wasserpumpe. Ich hinterher. Kurz bevor er im Wasserloch verschwand, rief ich: „Stopp, mach dich bitte nicht dreckig!“ Das Kind hielt inne.

Ein paar Meter weiter saß ein Kreuzberger Papa auf dem Boden. Neben ihm sein zweijähriger Sohn, der sich Sand in den Mund stopfte. „Warum soll er denn nicht spielen, wie er will?“, fragte mich der Mann vorwurfsvoll, auf meinen Sohn zeigend. Ich war perplex. Diese Art Einmischung war ich nicht gewohnt; am Stadtrand würde wohl gar niemand eingreifen, wenn einer sein Kind ohrfeigt. Aber sehe ich aus wie einer, der seinem Kind Spiel und Sport verbietet, weil die Hose schmutzig werden könnte? Ruhig erklärte ich es dem Mann: „Weil der Kleine gleich mit seiner Patentante ins Technikmuseum geht.“ Nasse Füße oder mit Modderpampe verschmierte Sachen seien da unpassend, und auf dem Spielplatz seien wir nur kurz zur Übergabe. Der Mann lächelte ungläubig und begann, seinem Kind Sand aus den Haaren zu fummeln. Mein Sohn rannte zur Seilbahn.

Wenig später trafen wir die Patentante, eine Kreuzberger Lesbe mit sächsischen Wurzeln. „Schick siehste aus, mei Gutster“, rief sie zu meinem Sohn. Wie oft, wenn er sich freut, kaute er verlegen den Kragen seiner Strickjacke. RICHARD ROTHER