Rot-Grün schafft 8 %

VON LUKAS WALLRAFF

Nach sieben Jahren Rot-Grün ist es Zeit, Bilanz zu ziehen, auch für Marieluise Beck. Die Migrationsbeauftragte der Regierung präsentierte gestern ihren mutmaßlich letzten „Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“.

Zunächst zwei Zahlen: Als Rot-Grün an die Regierung kam, lebten rund 7,3 Millionen „Ausländer“, also Menschen ohne deutschen Pass, in Deutschland. Heute sind es 6,7 Millionen. Daraus folgt: Die Zahl der Pass-Ausländer hat sich um 600.000, also 8 Prozent, verringert. Ist das nun ein Erfolg oder „eine Enttäuschung“, wie der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, Memet Kilic, meint?

Mangelnden Fleiß kann man Beck und ihren wenigen Mitarbeitern nicht vorwerfen. Ihr Bericht ist 626 Seiten dick. Das erfülle sie „mit einem gewissen Stolz“, sagte die Grünen-Politikerin wie immer selbstbewusst und fröhlich. Man wird sie als eine der optimistischsten Repräsentantinnen von Rot-Grün in Erinnerung behalten.

Dass ihre Berichte im Lauf der Zeit „immer umfänglicher“ ausgefallen seien, habe damit zu tun, betonte Beck, dass Deutschland „von Jahr zu Jahr dazulernt“, was den Umgang mit Migranten angeht. „Unter dem Strich“ habe sich die Gesellschaft während ihrer Amtszeit „deutlich bewegt“. Die Integrationspolitik, die Beck von Anfang an besonders wichtig war, werde zunehmend als „Gesellschaftspolitik“ verstanden. Auch der lange Streit um die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, habe sich „angesichts der Fakten erledigt“, stellte Beck fest.

„Wir haben immer weniger Ausländer und immer mehr Migranten“, fasste Beck die Entwicklung zusammen. 800.000 Menschen ließen sich einbürgern, dazu kamen 200.000 Kinder ausländischer Eltern, die dank rot-grüner Gesetze bei Geburt automatisch Deutsche wurden. Das klingt, als sei das erste große einwanderungspolitische Projekt der rot-grünen Regierung, die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, ein voller Erfolg gewesen. Nun ja.

Die Reform von 1999 sollte ja dazu führen, dass aus möglichst vielen „Ausländern“ offiziell Inländer werden. Rot-Grün wollte den Migranten, die teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland lebten, die Einbürgerung erleichtern – und sie ermuntern, den deutschen Pass anzunehmen, was wiederum die Integration befördern sollte. Aus dem Vorhaben wurde leider relativ wenig, findet Kilic.

Den wichtigsten Grund sieht er darin, dass die ursprünglich von Rot-Grün geplante Möglichkeit der Doppelstaatlichkeit – nach dem Kompromiss im Bundesrat – gestrichen wurde. Viele Migranten, vor allem Türken, wollen nicht auf ihre alte Staatsbürgerschaft verzichten – aber das sei es nicht allein, erklärte der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats der taz. „Der viel gepredigte und gepriesene Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik hat nicht stattgefunden“, bedauert Kilic, der am Samstag für einen Platz auf der baden-württembergischen Bundestagsliste der Grünen kandidiert. Die Ausländern gegenüber restriktiven Regelungen bei den neuen Antiterrorgesetzen und im Zuwanderungsgesetz hätten die Hemmungen, sich einbürgern zu lassen, verstärkt. „Ich hätte dem Zuwanderungsgesetz nicht zugestimmt“, sagt Kilic.

Beck hat es getan, ist aber nicht stolz darauf. Es sei ein „äußerst normales Gesetz“ geworden und habe „kaum namhafte Veränderungen“ gebracht.

Was bleibt, so Beck, ist die Realität des multikulturellen Deutschlands. Jedes vierte Neugeborene habe einen ausländischen Elternteil. Jede fünfte Ehe sei binational. In westdeutschen Städten kämen bis zu 40 Prozent der Jugendlichen aus Migrantenfamilien – Tendenz steigend. Jeder fünfte Einwohner habe einen Migrationshintergrund. „Multikulturalität“ sei angesichts dieser Zahlen „kein Konzept“, sondern Tatsache – und Integration die Aufgabe, die daraus folgt.