„Ein unendlicher Prozess“

VORTRAG Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche plädiert für eine neue Ethik der Bilder

■ ist Oberkirchenrätin und seit 2006 Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland.

taz: Frau Bahr, Sie sprechen heute über die „Macht der Bilder“. Aber warum ist gegenwärtig noch interessant, was Martin Luther einst dazu dachte?

Petra Bahr: Wegen der langen Nachwirkung des reformatorischen Erbes. Luther hat die Bilder aus dem religiösen Kontext gerissen, er hat sie frei gegeben, entsakralisiert. Luther hat zwar erkannt, dass Bilder zu dämonischen Zwecken missbraucht werden können, aber er hat zugleich auch ihre Wirkung unterschätzt. Er hat ihre Verwendung zu künstlerischen Zwecken für okay befunden, ihnen aber eine quasi-religiöse Macht abgesprochen. Heute haben Bilder wieder eine unglaubliche Macht bekommen: Es werden Kriege mit ihnen geführt, sie sind politisch, viele Menschen trauen ihnen sofort, obwohl sie ihnen misstrauen sollten, sie sind quasi-religiös aufgeladen. Da brauchen wir eine neue Ethik der Bilder.

Und wie kann uns Luther da noch helfen?

Indem wir an Luthers Bildkritik anknüpfen und über Luther hinausgehen – da setzt auch meine Kritik an. Wir brauchen heute einen reformatorischen Aufbruch mit einer neuen Kritik der Bilder, die ein analytisches, kluges Verhältnis zu ihnen entwickelt. Wir dürfen uns nicht nur ohnmächtig dem Übermaß an Bildangeboten hingeben, sondern müssen Lösungen suchen, uns dem Problem stellen, statt sich ihm zu entziehen. Es gilt, die bildkritische Macht des Protestantismus wieder zu entdecken.

Und zwar wie?

Indem wir die bildkritischen Argumente der Reformatoren für die Gegenwart neu auslegen, indem wir raus aus der Erinnerung gehen, raus aus der Verkirchlichung, raus aus der Musealisierung. Die Reformation ist ein unendlicher Prozess. Int.: Jan Zier

20 Uhr, Kirche Unser Lieben Frauen