LESERINNENBRIEFE
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Der Geist von 1932

■ betr.: „Marsch in die Sackgasse“, taz.nord vom 4. 6. 12

Als am 17. Juli 1932 ein Marsch der Nationalsozialisten durch das Altonaer Arbeiterviertel angesagt war, reagierte die SPD – die in Hamburg wie auch in Altona als Regierungspartei über die Polizeimacht verfügte – überraschend konsequent: Sie verbot den Marsch nicht, sondern rief ihre Parteimitglieder auf, ein Zeichen zu setzen. Sie sollten an diesem Sonntag bitte alle ins Grüne fahren, damit sie keinen Ärger mit den marschierenden SS- und SA-Verbänden bekämen. Den sollten bitte die Kommunisten kriegen. Erfolg der Strategie: 18 Tote, zwei davon Nazis, 16 unschuldige Bürger, erschossen von der Polizei.

Am 2. Juni 2012, als ein Marsch der Neo-Nationalsozialisten durch Hamburg-Wandsbek angesagt war, reagierte die SPD ebenfalls überraschend konsequent: Sie verbot den Marsch nicht, sondern rief zu einer bunten Demonstration auf dem Rathausmarkt auf. Hier, weit entfernt von den militanten Faschisten mit ihren Reichkriegsflaggen, warb SPD-Bürgermeister Olaf Scholz für Toleranz. Den Ärger sollten bitte die 4.000 Antifaschisten kriegen, die sich in Wandsbek zusammenfanden. Erfolg der Strategie: Die Polizei prügelte friedliche Antifaschisten von der Straße, setzte mit erschreckender Brutalität berittene Beamte und Wasserwerfer ein und bahnte den blockierten Nazis eine Alternativ-Route.

Es wurde kein Blutsamstag, aber Rauch stieg auf über Wandsbek, es gab Festnahmen und Verletzte, die Presse sprach von einer „Spur der Verwüstung“. Verwüstet wurde auch einiges in den Köpfen engagierter Bürger, die gedacht hatten, ihre Polizei wäre auf ihrer Seite, also auf der der Demokratie. Viele dachten nun, die Polizei würde mit den demokratischen Bürgern kooperieren, um den braunen Mob in seine Schranken zuweisen. Das Gegenteil war der Fall.

Und sah man in Wandsbek SPD-Fahnen zwischen denen der „Verfolgten des Nazi-Regimes“ und denen mit dem Davidstern, zwischen den Regenbogenflaggen und den Wimpeln der Gewerkschafter? Nein! Vom gleichen Geist beseelt wie 1932 rief sie zum bunten Reigen in der Innenstadt auf, weit weg von den braunen Horden. Welcher Geist ist das aber? Feigheit? Oder war es einfach nur konsequent? Wollte die SPD auch diesmal wieder die Polizei die Drecksarbeit machen lassen? Dann ist es auch in Wandsbek wieder daneben gegangen, zum Glück nicht so fatal wie damals in Altona.

Jetzt komme mir keiner damit, in Wandsbek hätten bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht: Überall, wo die Polizei vernünftig agierte, ging es fröhlich und friedlich zu, Autonomen wurden von besonnenen Antifaschisten die Steine aus der Hand genommen. Nachher sah es nicht viel schlimmer aus als nach dem Hafengeburtstag oder dem Schlager-Move auf St. Pauli. Auch die Demokratie hat keinen Schaden erlitten, im Gegenteil: Das nächste Mal kommen noch mehr Menschen, um für sie zu kämpfen. Und sie wissen: Sie müssen sich auf sich selbst verlassen. ROBERT BRACK, Hamburg

Staatliche Tierquälerei

■ betr.: „Marsch in die Sackgasse“, taz.nord vom 4. 6. 12

Wo bleibt eigentlich der Protest der Tierschutzvereine, wenn Pferde als Waffe von der Polizei gegen Demonstranten eingesetzt werden? Tiere als Panikmacher gegen Menschen: eine einzigartige staatlich genehmigte Tierquälerei. In den 1950er-Jahren haben sich von der Adenauer-Polizei attackierte ProtestlerInnen, mit 30-Zentimeter-Nägeln gegen die Pferdewaffe zur Wehr gesetzt. Muss es erst wieder dazu kommen? PETER GUTZEIT, Hamburg

Verachtung schlägt Türen zu

■ betr.: „Marsch in die Sackgasse“, taz.nord vom 4. 6. 12

Bei einer Kundgebung gegen Neofaschismus sagte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD): „Wir verachten die Rechtsradikalen in unserer Stadt.“ Mit Verachtung ist dem Rechtsextremismus jedoch nicht beizukommen. Jemand zu verachten, stößt ihn vor den Kopf, macht ihn nicht gesprächsbereit und noch weniger empfänglich für andere Ansichten. Verachtung schlägt Türen zu, die vielleicht noch ein wenig geöffnet sind, und kann die Radikalisierung sogar noch fördern. Dessen sollte sich Olaf Schulz bewusst sein, wenn er solche Worte in den Mund nimmt. JOACHIM FISCHER, Bremen