: Teer für eine Scherbe
Der Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg wird morgen in Rio-Reiser-Platz umbenannt
Von Uwe Schütte
Beim zweiten Anlauf hat es geklappt. Und am morgigen Sonntag ist es endlich so weit: Der nach Prinz Friedrich Heinrich Karl von Preußen benannte Kreuzberger Heinrichplatz wird umbenannt in Rio-Reiser-Platz. Nach Rudi Dutschke ist Ralph Christian Möbius, der sich als charismatischer Sänger der Politrockband Ton Steine Scherben den Künstlernamen Rio Reiser gab, mithin die zweite linke Ikone, deren Name in die Matrix der Berliner Straßennamen eingeht. Der Rio-Reiser-Platz liegt in Sichtweite des Mariannenplatzes, den die Scherben mit ihrem „Rauchhaussong“ unauslöschlich in die Topografie der deutschsprachigen Popmusik eingeschrieben haben. Die Hymne der Hausbesetzerszene hat auch nach einem halben Jahrhundert nichts an Relevanz verloren angesichts der drastischen Gentrifizierung Kreuzbergs.
Es war allerdings eine der letzten Bastionen der glorreichen Hausbesetzervergangenheit, direkt am Heinrichplatz gelegen, die den von der Partei Die Linke initiierten ersten Anlauf zur Umbenennung des Heinrichplatzes torpediert hat. So fürchtete man insbesondere dessen Verwandlung in einen Wallfahrtsort für Politrock-Enthusiasten, weshalb gesteigerter Tourismus die Gentrifizierung weiter befeuern könnte. Bedenkt man, dass die Erinnerungstafel an David Bowies alter Wohnung in der Schöneberger Hauptstraße nicht gerade Massen an Touristen anzieht, darf man entspannt bleiben.
Ob die Verewigung seines Namens als Platz, der eng mit ihm und der Bandgeschichte verbunden war, dem im August 1996 gestorbenen Rio Reiser gefallen hätte? Dergleichen Institutionalisierung ist stets Zähmung eines Widerspenstigen, zugleich aber auch Chance für Nachgeborene, die ihn allenfalls dank seines Hits „König von Deutschland“ kennen, die Musik neu zu entdecken. Die erst aufrührerischen, dann künstlerisch verspielten Alben der Scherben gehören zum Besten, was die deutschsprachige Popmusik hervorgebracht hat.
Am Sonntag jedenfalls steigt das Fest: In Anwesenheit von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ehemals Managerin der Band, wird Schauspielerin Laura Tonke Texte von Reiser vortragen und Scherben-Weggefährte Nikel Pallat eine Rede halten. Neben jüngeren Bands werden auch die Ex-Scherben selbst zu hören sein.
Ganz in diesem Sinne daher: „Die letzte Schlacht gewinnen wir.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen