Kein Platz für Mitleid und Reue

Am Mittwoch urteilt das Landgericht Stade über Marc Hoffmann. Staatsanwälte und Verteidiger sind sich einig: Der Mann, der den Mord an zwei Kindern gestanden hat, ist gefährlich. Aber: Die Ankläger halten ihn für kaltblütig, seine Anwälte für krank

aus StadeKai Koppe

Die Rekonstruktion der zwei Tatvorgänge weist keine Ungereimtheiten auf, die Polizei hat nach letzten Erkenntnissen gute Arbeit gemacht. Möglicherweise hätte sie früher zugreifen können und damit den Tod von Felix verhindert. Die Boulevardberichterstattung war sich da zeitweilig sogar sehr sicher. Aber im Nachhinein sagt sich so etwas leicht.

Immerhin hat die Sonderkommission den Kindermörder Marc Hoffmann gefasst, hat ihn verhört, er hat gestanden. Aus diesem Grund ging es bei der Beweisaufnahme vor dem Landgericht Stade vorrangig um die Schuldfähigkeit jenes Mannes, der die beiden Kinder Levke und Felix schwer missbraucht und anschließend umgebracht hat: Hoffmann ist – Konsens aller Verhandlungsparteien – hoch gefährlich.

Selbst die Verteidigung will ihn am Ende des zweimonatigen Prozessverlaufs für lange, sehr lange Zeit, ja am Besten für immer eingesperrt wissen. Doch wohin mit dem Täter – in ein Gefängnis? Oder in die geschlossene Psychiatrie? Ist Hoffmann ein simpler, wenn auch besonders grausamer Mörder? Oder wäre der 31-Jährige, wie seine Anwälte immer wieder betonen, abgrundtief seelisch gestört, das heißt im medizinischen Sinne ein schwer kranker Mensch? Fragen vor der Schwurgerichtskammer am voraussichtlich letzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung.

Als „krank“ stellte sich Hoffmann nach seiner Verhaftung im Herbst 2004 selbst dar und ließ bei Prozessbeginn eine Erklärung verlesen, in der er sich „mit einigem Entsetzen“ zu seinen Taten bekannte und das Gericht im gleichen Atemzug bat, psychologisch behandelt zu werden. „Damit so etwas nie wieder vorkommt.“ So etwas, wie am 6. Mai vergangenen Jahres: der Tag, an dem der Angeklagte die achtjährige Levke S. aus Cuxhaven-Altenwalde vor ihrem Elternhaus auflas, sie unter Vorwänden dazu brachte, in sein Auto zu steigen, sie missbrauchte und das Kind schließlich mit einem Kabelbinder erwürgte. Sechs Monate später das gleiche Szenario. Das Opfer damals der achtjährige Felix W. aus Neu Ebersdorf (Kreis Rotenburg/Wümme). Im Fond des Honda Accord drückte Hoffmann dem Jungen mit bloßen Händen die Kehle zu.

Inzwischen gibt es kaum Zweifel daran, dass der Beschuldigte beide Taten planmäßig ausgeführt hat. Man weiß, dass der Straßenstrich dem Angeklagten irgendwann nicht mehr reichte. Dass er „um Dampf abzulassen“ zu Streifzügen aufbrach, Ausschau haltend nach möglichen Opfern, die allesamt schwächer waren als er. Dem Volksmund nach handelte Hoffmann also „eiskalt“.

Das Mienenspiel des Angeklagten: Signale von Mitleid und Reue sucht vergeblich, wer es studiert. Unbeweglich wirkt das Gesicht des als „eher unterdurchschnittlich intelligent“ eingestuften Marc Hoffmann. Als Strafrichter Behrend Appelkamp dem Angeklagten am vergangenen Dienstag, am Tag der Plädoyers, noch einmal Redezeit gibt, winkt dieser nur ab. Er bleibt stumm auf der Anklagebank sitzen. Kein Wort der Entschuldigung.

„Mangel an Empathie“ nennt der als Gutachter bestellte Essener Forensik-Professor Norbert Leygraf die Ungerührtheit bei der Ausführung der ihm angelasteten Morde. Hoffmanns Anwälte vermuten mehr hinter der Teilnahmslosigkeit ihres Mandanten. Sie sprechen von einer schweren Persönlichkeitsstörung, die sich angeblich bereits im Zellengespräch offenbarte. „Ich hatte gleich bei meinem ersten Besuch in der Justizvollzugsanstalt den Eindruck, dass mit dem etwas nicht stimmt“, raunt Wahlverteidiger Jost Ferlings verschwörerisch dem Gericht zu. Er stilisiert den eigenen Mandanten zum Psychopathen. Das Ziel: ihm den Knastaufenthalt zu ersparen.

„Große Sorge“ habe er, erklärt Ferlings weiter, dass sein Mandant, „irgendwann untherapiert frei kommt“. Man wisse schließlich genau, selbst „lebenslängliche“ Haft währe nicht ewig; deswegen also Maßregelvollzug unter Aufsicht von Psychologen. Zum Schutze der Allgemeinheit sei das die bessere Lösung. Ferlings: „Das Vehikel, dort hin zu gelangen ist die Schuldunfähigkeit.“

Ein weiteres Sachverständigengutachten will der Paderborner Strafverteidiger deswegen einholen, will Hoffmann zum zweiten Mal auf Geisteszustand und sexuelle Abnormitäten hin untersuchen lassen. Doppelt hält besser, so die Begründung, begleitet von einem Hinweis, dass der Forensiker Leygraf wegen möglicher Voreingenommenheit nicht in der Lage gewesen sein könnte, die Schutzschilde seines Mandanten zu „knacken“.

Dass diese letzte Runde an den Verteidiger geht, der bereits zu Beginn des Verhandlung mit einem Befangenheitsantrag gegen die Kammer Schiffbruch erlitt, wird von Beobachtern des Stader Prozesses bezweifelt: „Von der vollen Schuldfähigkeit bis zur Schuldunfähigkeit ist es ein sehr großer Schritt“, erläutert Björn Kaufert, Sprecher des Landgerichts. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger messen den Untersuchungsergebnissen Leygrafs große Bedeutung zu; Anzeichen für einen „forensich erheblichen Schwachsinn“ hat der Psychiater bei Hoffmann nicht festgestellt. Allenfalls Hinweise auf ein gespaltenes Ich, das Hoffmann die beiden Taten mit, so Staatsanwältin Anja Demke, „unerschütterlicher Gleichgültigkeit“ ausüben ließen.

Die Anklage-Seite fordert deshalb die Höchststrafe für zweifachen Mord, für schweren sexuellen Missbrauch und Entziehung von Minderjährigen. Doch es geht nicht allein darum, den Tod von Levke und Felix zu sühnen, sondern auch um die Frage, wie die Opfer-Angehörigen zumindest auf rechtlicher Basis Genugtuung finden. „Zwei Familien sind zerstört worden“, sagt Demke in ihrem Plädoyer.

Sie erinnert an Schmerz und Verzweiflung der Hinterbliebenen, die auf unterschiedliche Weise mit der Prozesssituation umgingen: Anja W. ließ sich in Stade durch Rechtsanwalt Walter Schmel vertreten (siehe Interview). Unerträglich schien ihr der Gedanke, den Mörder von Felix ständig vor Augen zu haben.

Ulrike S. hingegen, Mutter des getöteten Mädchens, betrat mit Anwältin Sonja Briesenick den Gerichtssaal. Am zweiten Sitzungstag trat sie selbst in den Zeugenstand, erzählte von Levke, von ihrer Lebenslust, dem Zusammenhalt unter Geschwistern, auch von Hoffnungen und von Zukunftsplänen. „Plötzlich ist alles kaputt“, endete die Frau mit der blonden Pagenfrisur.

Der Mann, der ihre Familie ins Unglück gestürzt hat, sitzt Ulrike S. im Saal direkt gegenüber. Er trägt eine kaum in Worte zu fassende Schuld. In wenigen Tagen wird die Kammer verkünden, in welchem Umfang ihn das Gericht dafür zur Verantwortung zieht.