Urdrüs wahre Kolumne
: Engelblau oder Erdbeer?

Meine plattdeutsche Großmutter hat nicht nur ihr Leben lang ein Kopftuch getragen, sondern ist auch noch mit über 80 Jahren täglich mit dem störrischen Miele-Rad zur Weide in die Feldmark gefahren, um dort ein halbes Dutzend glückliche Kühe von Hand zu melken, nachdem sie zuvor noch Schweine, Hühner, Kaninchen und oft genug auch noch den Schreiber dieser Zeilen versorgt hatte. Solch emsiges Wirken ist den Veranlassern des Bremer Kopftuchgesetzes natürlich fremd, zumal die Perschaus, Lemkes und Innensenators keinen Gedanken an den provozierend-phallischen Charakter ihrer Biedermannskrawatten verschwenden und ihre Anzüge allemal ausreichen, um sie als Banker, Multilevel-Marketingberater oder sonstige Herr Kaisers zu identifizieren. Warum kümmern sie sich nicht um die Bremsspuren in ihren eigenen Retro-Shorts?

In einem Supermarkt, wo es jetzt auch noch Flugtickets für die Billigkerosinverschleuderer zu kaufen gibt, notiert ein Kunde an der Anschlagtafel auf grasgrünem Zettelchen: „Ich-AG für Besorgungen, putzen, einkaufen, Tiere betreuen, Gartenpflege. Schaffe Ihnen jedes Problem vom Hals.“ Macht diese umfassende Zusage nicht doch ein bisschen Angst?

Das umetikettierte Schnitzelfleisch einer anderen Supermarktkette erwies sich jetzt zu 80 Prozent als verdorben, weil Geiz eben nicht nur geil ist, sondern auch den Gammel befördert. Schade, dass solche Spezialitäten nie auf den Banketten jener serviert werden, die für die dahinter stehende Welt- und Wirtschaftsordnung verantwortlich sind! Immerhin sollen jetzt ganz real Frischeberater eingestellt werden: Werden die nun an der International University ausgebildet, bei der VHS oder an der Freien Kunststudienstätte Ottersberg?

Endlich ist die Aufarbeitung des Big Space Park-Swindle an einen Punkt gelangt, da selbst bei Vertretern der großen Koalition das Verlangen nach juristischer Aufarbeitung wächst. Da die mutmaßlich Verantwortlichen aber weder durch familiäre Bindungen noch funktionierende soziale Beziehungen über ihr kriminelles Umfeld hinaus sonderlich an Bremen gebunden sind, sollte die Staatsanwaltschaft unbedingt schon mal die Pässe hinterlegen lassen: Da besteht doch erhebliche Fluchtgefahr – und wahrscheinlich wurden die Provisionen für die Deals ja irgendwo außerhalb geparkt …

Im Konflikt um die Lufthoheit am Bremer Sielwalleck gebe ich warnend zu bedenken, dass eine rigorose Vertreibung bunter Elemente vielleicht gerade für die Gastronomie der „Kapelle“ das Aus bedeuten könnte. Ist es nicht gerade das Treiben der Punks vor der Tür, das manche Kaffeerunde im gesetzten Alter jenes wilde Leben spüren lässt, das für sie sonst nur im Fernsehen zu erleben ist? Und würde nicht dann nach der Lektüre von Bunte und Weser Kurier der Gesprächsstoff fehlen, der allein den Euro klimpern lässt? Natürlich müssen Spielregeln her, damit der Dackel der Tortenfreundin nicht sexuell von den Kötern der Irokesen- und Schottenrockträger belästigt wird, und damit nicht dauernd die Gleichen angeschnorrt werden, könnten die Punks ja vielleicht jedem Geber ein Papierblümchen geben, wie früher bei der Bahnhofsmission oder beim Müttergenesungswerk, damit jeder sieht: „Hat schon gespendet“.

An der Eisdiele verlangt die Kundin vor mir ganz avantgardistisch „Lakritze, Engelblau, Kastanie und Lychee, jeweils eine Kugel“, was mich nunmehr veranlasst, ganz bewusst auf klassische Werte zu setzen und „Schoko, Erdbeer und Vanille“ zu ordern. Ist es dieser Hang zum Konservativismus, der mich an den Chancen des Linksbündnis zunehmend zweifeln lässt?

fragt sich im Schlussverkaufs- Wahljahr 2005

Ulrich „Infas“ Reineking