Wohin? Und wie weiter?

Ist der Christopher Street Day mit seiner Massenparade noch auf dem richtigen Weg? „Immer größer, immer doller“ ist kein Qualitätsmerkmal mehr. Die Suche nach neuen Antworten hat begonnen

VON WALTRAUD SCHWAB

Eines ist klar: Berlin soll Trendsetter sein. Von hier sollen Impulse ausgehen, wie es weitergeht mit der Gesellschaft, der Kunst, der Politik. Da kann sich die homosexuelle Community nicht heraushalten. Auch für ihre Belange wollen in der Hauptstadt Maßstäbe gesetzt sein, bevor sie in die Provinz getragen werden. Die Frage aber lautet: Kann man mit hunderttausenden, die zur Christopher-Street-Parade in die Hauptstadt kommen, in Fragen, die gleich- oder andersgeschlechtliche Lebensweisen betreffen, noch punkten? Ist Quantität die Antwort auf drängende gesellschaftspolitische Fragen?

Einem Gemeinplatz zufolge, der in der homosexuellen Community kursiert, ist der CSD die bessere Love Parade. Mit Tiefladern, Beats und viel nackter Haut. Dass der Kommerz dabei die Message ist, ist einer jener Vorwürfe, gegen den sich die Veranstalter mit aller Macht stemmen.

„Machen wir uns nichts vor“, meint Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg, der mit einem Tieflader ins Rennen geht, „die große Masse der Homosexuellen hat sich traditionell nicht für ihre Rechte engagiert.“ Ihnen sei der CSD als Feiertag so recht, wie er ist. Mit Glamour, Trash, Heineken, Burger King und Hitzeschock. Allerdings beobachtet er, wie andere, die sich politisch für die Rechte von Homosexuellen einsetzen, dass das Unbehagen an einem zu kommerziell ausgerichteten CSD gewachsen sei und dass das Bedürfnis stärker in den Vordergrund trete, dies zu ändern. Nur wie?

Jedenfalls fällt erst einmal auf, dass viele Gruppierungen, die sich politisch und gesellschaftlich für queere Lebensweisen engagieren, gar nicht mehr am großen CSD teilnehmen. Zwischen den Tiefladern und Lkws gingen die Mini-Gefährte der kleinen Projekte unter, meint eine Vertreterin der Lesbenberatung. Wer jedoch einen Lastwagen für das Event mietet, sei schnell bei Kosten von 5.000 Euro – Geld, das die Projekte nicht haben. Vor allem die politischen und soziokulturellen Frauenprojekte nicht, von denen keines zum großen, einige wohl aber zum Kreuzberger CSD gingen.

Ob der CSD noch zeitgemäß ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Für den Vertreter einer Berliner Aidsberatung aber bleiben große Auftritte und gewaltige Präsenz wichtig, solange Leute ihre Arbeit verlieren können, wenn sie geoutet oder HIV-positiv sind, und wenn, wie in der letzten Zeit beobachtet, die Gewalt gegen Homosexuelle wieder zunimmt. Ihn ärgert, dass vor allem durch die Berichterstattung in den Medien der Eventcharakter des CSD in den Vordergrund gehoben, die politische Dimension aber klein geredet werde.

Egal wie es gewendet wird: Der Vorwurf bleibt, dass Party nicht alles ist. Von der Quantität – dem „immer größer, immer doller“ – müsse zur Qualität zurückgefunden werden. Sollte es tatsächlich zu einer CDU-geführten Regierung kommen, mag durch eine stärkere Frontziehung das Politische wieder deutlicher hervortreten, wie Alexander Zinn vom LSVD meint. Denn Stillstand sei in Fragen der Gleichberechtigung von Homosexuellen ein Rückschritt. Komme dazu noch eine ausgrenzende Rhetorik durch die Konservativen, werde dies sicher eine Repolitisierung der Szene begünstigen.

Die neuen Themen, die Antworten auf die anstehenden gesellschaftlichen Probleme geben, sind damit aber noch lange nicht gefunden. Migration ist ein Stichwort. Verarmung auch. Denn das Klischee vom gut situierten Schwulen trifft längst nicht auf alle zu.

Marcel de Groot von der Berliner Schwulenberatung beobachtet in diesem Zusammenhang seit geraumer Zeit, dass unter Homosexuellen wieder mehr nach Werten gesucht wird. „Höflichkeit, Mitmenschlichkeit, Freundschaft – überhaupt menschliche Beziehungen und nicht Sex“ träten mehr in den Vordergrund. Wenn dies stimmt, dann allerdings ist der CSD sicher aufs falsche Gleis geraten. In den letzten Jahren nämlich wirkte die Parade mitunter wie ein großer Darkroom.