Gegen die Großeltern rebelliert man nicht

Im bulgarischen Wahlkampf sorgt vor allem die populistische Partei Ataka für Wirbel. Nato und Europäische Union hingegen sind kaum noch ein Thema – jedenfalls nicht für die Eliten. Indes vertieft sich der Graben zur Bevölkerung

taz: Herr Krastev, das rechte Lager in Bulgarien macht einen ziemlich desolaten Eindruck. Wieso?

Ivan Krastev: Dies auf Animositäten zwischen den Parteichefs zu reduzieren, würde zu kurz greifen. Das traditionelle Projekt der rechtszentristischen Kräfte ist tot. Ihre Hauptbotschaften sind Konsens geworden, und mit solchen Botschaften ist es schwer Wahlkampf zu machen. Die Nato-Mitgliedschaft, die noch 1998 umstritten war, ist kein Thema. Auch der Gegensatz Kommunismus–Antikommunismus zieht nicht mehr.

Die Rechte hat kein Projekt mehr?

Ja, und das brauchte sie gerade jetzt, wo es gilt, die junge Generation zu gewinnen. Doch für die hat die Tatsache, links zu sein, vor allem einen gewissen Unterhaltungswert. Für die Rechte zu stimmen wird als konformistisch angesehen. Man rebelliert immer gegen seine Eltern, niemals gegen seine Großeltern.

Erstmals in der Nachwendegeschichte Bulgariens könnte mit Ataka eine radikale Protestpartei ins Parlament einziehen. Was ist von dieser Gruppe zu halten?

Ataka ist eine Synthese von radikaler linker und rechter Politik. Ihr Credo lautet: totale Ablehnung der politischen Klasse, brutale Attacken auf jede Art von Konsens. Sie geben keinerlei konkrete Versprechungen auf wirtschaftlichem oder sozialem Gebiet, sondern nur die Aussage: Wir wollen die politische Elite abstrafen. Das kommt offensichtlich an.

Ist das gefährlich?

Die Tatsache an sich, dass jetzt eine Partei wie Ataka auf der politischen Bühne aufgetaucht ist, würde ich nicht überdramatisieren. Diesen Typ von Parteien findet man mittlerweile in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas. Ich glaube, dass Ataka auch ein Stück Normalisierung des politischen Lebens in Bulgarien ist. Im Parlament sollten verschiedene Meinungen vertreten sein – und es gibt eben einen Teil der bulgarischen Bevölkerung, der diesen anderswo kopierten Populismus teilt.

Dennoch werden die etablierten Parteien auf diese Entwicklung reagieren müssen.

Genau da liegt die Schwierigkeit. Denn das Problem ist nicht Ataka, sondern die Reaktion darauf. Die Partei hat Tabus gebrochen. Jetzt ist zu befürchten, dass die etablierten Parteien einige Aussagen von Ataka übernehmen. Zum Beispiel ist ein Teil der Wähler der Sozialisten gegen die Nato und die Beteiligung Bulgariens am Irakkrieg. Bis jetzt ist es den Sozialisten gelungen, mit dieser Situation umzugehen. Ein Grund dafür ist, dass es bis jetzt eben niemanden gab, den man links von den Sozialisten wählen konnte. Es gibt noch ein weiteres Problem: eine Überreaktion der politischen Klasse, das heißt ein künstliches Bündnis gegen Ataka. Das wäre dann der gleiche Fehler wie in Frankreich, als Le Pen in die Präsidentenstichwahl kam. Das jedoch würde das Protestpotenzial in der Gesellschaft weiter stärken. Und nicht nur das. Auch die Kluft zwischen der politischen Elite und der Gesellschaft würde sich vertiefen. Das ist schon jetzt die größte Kluft in Bulgarien.

Abgesehen von Ataka ist der Wahlkampf alles andere als aufregend. Warum?

Diese Wahlen unterscheiden sich sehr stark von den beiden vorhergehenden. Die Wahlen von 1997 waren eine Richtungsentscheidung, im Grunde der zweite Beginn des Systemwechsels, der Transition. Die letzten Wahlen waren dominiert von der Person des Königs und seiner Partei, der neuen Partei der Hoffnung. Das war Dramatik drin, es gab einen richtigen Plot. In diesem Jahr haben wir kein Drama. Deshalb ist die Wahlkampagne so depressiv und langweilig.

Wie es aussieht, wird die Sozialistische Partei, die BSP, die Wahlen in Bulgarien gewinnen. Wie ist dieser Zuspruch zu erklären?

Die BSP war acht Jahre in der Opposition. Jetzt meinen viele Leute, dass es Zeit für die Partei ist, an die Macht zurückzukehren. Auf der lokalen Ebene ist die BSP die einzige Partei, die mit funktionierende Organisationen präsent ist. Hinzu kommt, dass sich die Parteispitze wieder Respekt erworben hat.

Wird sich nach dem Machtwechsel auch grundlegend die Politik ändern?

Kaum. 1994 konnte man die BSP noch als exkommunistische Partei bezeichnen. Jetzt ist sie eine exexkommunistische Partei. Die Sozialisten stehen fest hinter dem Nato-und dem EU-Beitritt. Das Problem ist jedoch ein ganz anderes. Der Partei mangelt es an Erfahrung unter den neuen Bedingungen zu regieren. Die Software der Computer ist ausgetauscht worden und die BSP hat niemals mit dieser Software gearbeitet. Hinzu kommt, dass die Führung der Partei wesentlich progressiver ist als großer Teil der Basis. Gerade aber die alten Kader haben noch einen erheblichen Einfluss. Das wird ein schwieriger Spagat.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL