berliner szenen: Bewundern Sie diesen Tag
Der Mann war mir schon an der Kreuzung aufgefallen. Er war dünn, schwarz gekleidet, ziemlich abgerissen, aber auch elegant und ging, vielleicht zehn Meter vor mir, an der Friedhofsmauer entlang, auf der unter anderem „THC“ stand in großen und „crack preferred“ in kleinen Buchstaben. Auf die Gehwegplatten hatte jemand „Bewundern Sie diesen Tag“ geschrieben. An der Ecke Nostitzstraße blieb er stehen, sah sich um und sprach mich dann an, als würde er mich kennen. Er fragte, „Kennst du Iwo?“ Ich verneinte. Und war froh, dass er meine Antwort akzeptierte und langsam weiterging, während ich links abbog und überlegte.
Erst stellte ich mir so filmmäßig vor, es wäre der Mann, der mich vor drei Jahren am Hackeschen Markt plötzlich angegriffen hatte, eine furchtbare Geschichte. Mit der Frage hatte er prüfen wollen, ob ich seinen Namen kenne. Hätte ich gesagt, dass ich Iwo kenne, hätte er mich leider umbringen müssen. Dann fiel mir ein, dass der Mann vom Hackeschen Markt viel kleiner gewesen war. Vielleicht kannte die beiden sich aber trotzdem. Vermutlich war Iwo der Name eines hiesigen Crystal-Meth-, Heroin- und Tilidin-Dealers, und der Mann hatte mich angesprochen, weil ich auch so aussah wie ein Junkie. Dass ich auf seine Frage auch mit „I wo!“ – keinesfalls – hätte antworten können, fiel mir erst bei Netto ein, wo ich eine Flasche Trinkmahlzeit, zwei Bier und Milch kaufte.
Wieder zu Hause suchte ich im Internet nach Iwo. Im Vornamen-Blog heißt es: „Iwo ist der Held dieses Buchs und erlebt Abenteuer, die eng mit seinem Namen verknüpft sind. Dabei begegnet er vielen interessanten Menschen, die alle auf unterschiedliche Art ihr Glück gefunden haben, und am Ende findet auch Iwo das Glück, und zwar dort, wo er es ganz sicher nie wieder verlieren wird.“
Detlef Kuhlbrodt
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