Bernhards Geist
: Witzkaskaden

Der Doppelgänger beginnt, Kalauer vorzutragen

Nur ein flüchtiger Blick auf dieses doch vertraute, vorbeieilende Gesicht mit dem wissenden Schmunzeln, den grauen Haaren, die an der Schläfe etwas abstehen, und schon erscheint mir vor dem Ring-Center, an der Frankfurter Allee, ein Geist wie elvisgläubigen Graceland-Pilgern der King höchstpersönlich. Meinem Passanten im grünen Lodenmantel und weißem Hemd rufe ich erfreut nach, er sehe aus wie Thomas Bernhard, gut gelaunt und etwas spitzbübisch. Ein Bild, das sich übermächtig durchs neulich pausenlose Ansehen eines Interviewfetzens ausgebreitet hat, in dem er hintersinnig sein Gegenüber Rudolf Bayr in einem Fernsehgespräch verspottet.

In der Hand ein paar Seiten Papier und einen Hochglanzprospekt, fragt der Stehengebliebene interessiert, ob das „jemand Bekanntes aus Funk und Fernsehen“ sei. Nach ein paar Worten zum Schriftsteller und zu dessen Humor nutzt die Begegnung das Stichwort und beginnt, nach der kleinen Konversation, in der Mittagssonne gegen die stimmenschluckende Bundesstraße eine Reihe an Kalauern vorzutragen: „Früher, als Kind, habe ich die Leute auch immer angesprochen. – Entschuldigung, wie komme ich denn über die Straße? – Da musst du da rübergehen. – Das haben die Leute auf der anderen Seite auch schon gesagt!“ Ein weiterer wird eingeleitet und beginnt als verheißungsvolle Bundeswehrklamotte. Er muss dabei sein Lachen zurückhalten. Wahrscheinlich vor Freude und Überraschung, einen Geduldigen für seine Witzkaskaden gefunden zu haben. Leider klingelt mein Telefon, tatsächlich wichtig. Er verabschiedet sich schnell und überreicht mir eine Visitenkarte: „Ich habe da etwas für Sie. Sie können mich auch für Familienfeiern anfragen. Ich nehme nicht so viel.“ Dieser Versicherungsberater, so viel ist klar, war kein schlechter Fang für einen Zufallsplausch.

NIELS MÜNZBERG