OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Machen klassische Musikwettbewerbe einen Sinn? Eigentlich nicht, meint die französische Geigerin Solenne Paidassi. An der International Violin Competition Hannover 2009 wird sie trotzdem – und das recht erfolgreich – teilnehmen und dabei mit anderen jungen Violinisten um den renommierten Joseph-Joachim-Preis konkurrieren. Der bietet nämlich nicht nur ein ordentliches Preisgeld, sondern kann auch die Türen in die Welt der Konzertveranstaltungen weit öffnen. Radek Wegrzyn und Stephan Anspichler haben mit „Violinissimo“ eine intellektuell (und ästhetisch) ansprechende Dokumentation geschaffen, die drei internationale Jungprofis durch den Wettbewerb begleitet und dabei ein treffendes Bild von der Freude an der Musik vermittelt, ebenso wie von einem von harter Arbeit geprägten Leben, in dem sich Nervosität, Freude und Enttäuschung die Waage halten. (8./13. 6. Urania)

Mit klassischer Musik hat einer der Schallplattenkäufer, die von Jeanie Finlay in „Sound It Out“ porträtiert werden, eher nichts am Hut. Er liebt die Boogie-Rocker Status Quo und kauft deren Platten nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach: Schließlich kann man sich ja auch noch die Pressung aus Griechenland oder Israel zulegen. Auch wenn das völlig bescheuert erscheint – die sympathische Doku zeigt sehr anschaulich, was der letzte Plattenladen im nordenglischen Stockton-On-Tees für den Besitzer Tom und die manchmal recht exzentrischen Kunden wirklich bedeutet. Ihnen allen gibt die Musik und der Laden nämlich etwas, was keine MP3-Datei je schaffen kann: Zuflucht, Emotionen, Erinnerungen und soziale Kontakte. (OmU, 7./15. 6. Moviemento, 10.–12. 6. Downstairs-Kino)

Einer der interessantesten Filme des diesjährigen Jüdischen Filmfestivals ist die Dokumentation „Die Wohnung“ von Arnon Goldfinger: Nach dem Tod seiner Großmutter Gerda Tuchler, die in der Nazizeit aus Deutschland nach Israel emigrierte, macht sich der Regisseur daran, ihr Leben und das ihres bereits zuvor verstorbenen Mannes Kurt zu erforschen. Dabei stößt er auf eine sprachlos machende Geschichte: Gemeinsam mit dem SS-Offizier Leopold von Mildenstein und dessen Frau bereisten die in der zionistischen Bewegung engagierten Tuchlers 1933 in freundschaftlichem Klima Palästina; von Mildenstein erkundete dabei die Emigrationsmöglichkeiten für Juden und schrieb später einen begeisterten Artikel für Goebbels Hetzblatt Der Angriff. Noch seltsamer ist allerdings, dass die Emigranten nach dem Krieg ihre Freundschaft zu von Mildenstein, dem Vorgänger Adolf Eichmanns im „Judenreferat“ des SD, wieder aufnahmen. Wirklich erklären kann der Film diese Freundschaft im Laufe der Recherchen Goldfingers nicht – weit wichtiger wird daher die Frage, was die nachgeborene Generation alles verdrängt hat und warum. Was die Archive etwa über das Schicksal von Gerdas Mutter oder den Lebenslauf Leopold von Mildensteins zutage fördern, wird so zu einer bitteren und notwendigen Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft. (OmU, 11. 6. Arsenal, 12. 6. Cinema Paris) LARS PENNNG