Suche nach Gemeinschaft

Wegschauen geht nicht: 25 Prozent mehr Neonazis haben die Verfassungsschützer im vergangenen Jahr gezählt. Für die taz nord beobachtet Andreas Speit den rechten Rand. Kontinuierlich.

Die so genannte „nationale Opposition“ tritt derzeit sehr selbstbewusst auf. „Ich bin Nazi – und das ist gut so“, das ist die Botschaft, die Aktivisten der NPD und der „Freien Kameradschaften“ (FK) derzeit ausstrahlen. Wegen Auschwitz verstecken sie sich längst nicht mehr. Ideologisch geschult suchen sie offen die Diskussion.

Vor allem die Kader dieser momentan vorherrschenden Gruppierungen des rechten Milieus gehen selbstsicher auf Jugendliche und junge Erwachsene zu. Gezielt versuchen sie, mit Aktionen, Konzerten und Privatpartys 13- und 14-Jährige anzusprechen. Im Intro auf der seit Ende 2004 eingerichteten Website „Schulhof.net“, wo der Geneigte diverse Rechtsrocksongs kostenlos downloaden kann, heißt es: „Man will [...] euch glauben manchen, dass wir baseballschlägerschwingende, kinderfressende Monster sind, die nichts als Saufen und Gewalt im Sinn haben. [Doch] macht euch ein eigenes Bild über uns“.

Partrick B. sprach dieses Angebot schon vor Jahren an. „Die traten für was ein, dieses Wir gegen Alle“ berichtet er, „gefiel mir“. Mit 14 Jahren hatte sich Patrick B. auf der Suche nach „Gemeinschaft“ einer „rechten Clique“ im Raum Hannover-Hamburg zugewendet. „Na ja, auch wegen der Politik“, räumt der Aussteiger heute ein. Bei etwa 80 Prozent der Jugendlichen die sich der rechten Szene anschließen, erklärt Andrea Müller vom Lidice-Haus in Bremen, finden sich in der Familie rechte Ressentiments zwischen alltäglichen Rassismen und gängigen Verherrlichungen des Zweiten Weltkriegs. „Ihr redet doch bloß, wir machen“ hatte auch Partrick B. gedacht.

Diese diffuse Mentalität aus Rebellion und Ressentiments versuchen die Neonazis zu einer Ideologie zu verdichten. In Rechtsrocksongs wie von der Bremer Band „Nahkampf“ werden Signalwörter gegrölt, in Fanzines wie dem „Durchblick“ aus Neumünster die Hintergrundtexte geliefert und auf Tagungen etwa im „Landgasthof Heilshoop“ oder in der „Alten Mühle“ in Bargstedt, die Weltanschauung vertieft. Das bleibt nicht ohne Folgen: Längst müssen sich Lehrer und Sozialarbeiter mit Jugendlichen auseinander setzen, die ganz im Geiste des neonazistischen Barden Frank Rennicke den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess als „Freiheitsflieger“ in der Schulklasse vorstellen oder die, ganz in der Logik des „Durchblicks“, Kürzungen im lokalen Jugendzentrum als Raub am deutschen Volk bezeichnen.

In den Diskussionen haben die Pädagogen dann selten spontan die besseren Argumente parat, wissen die „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ in Niedersachsen und die „Landesweite Opferberatung“ aus Mecklenburg-Vorpommern.

Neben der Zeit fehlen Lehrern und Sozialarbeitern auch oft Möglichkeiten zur Weiterbildung, um sich auf diese neue offene Auseinandersetzung einzustellen. Vereinzelt bieten die „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ und die „Landesweite Opferberatung“ zwar solche Bildungsmaßnahmen an. Doch ist die Finanzierung oft mehr als schwierig. Vielleicht, weil die zuständigen Behörden das ideologische Potenzial der Rechten ungern eingestehen. Das vereinzelte Erscheinungsbild Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel führt immer noch zur allgemeinen Bewertung von dumm, arbeitslos und alkoholisiert.