Der aus dem Zauberhut springt

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Gregor „Stummel“ Gysi

Dreihundertmillionenmal übereinandergestellt, reicht er bis zum Mond

Leute, die Einkaufsbeutel anziehen, weil sie sich keine Hemden leisten können; Familien, die unter einer Parkbank wohnen, weil sie die Miete für einen Pappkarton nicht mehr bezahlen konnten; Kranke, die ihre Krücken aufknabbern, weil ihnen das Geld für eine warme Mahlzeit fehlt; Rentner, die sich mit Baumrinde säubern, weil Seife unerschwinglich geworden ist; Schüler, die an Holzcomputern lernen; Frauen ohne Sozialversicherung, die die Frucht ihres Leibes zu Hause mit der Flaschenbürste abtreiben müssen – so sieht’s aus in Deutschland nach 500 Jahren Neoliberalismus. Das ist für zahllose Menschen und ihre Ehepartner die saure Wirklichkeit in einem der speckigsten Länder der Welt! Während die Reichen und Mächtigen auf sahneweichen Kissen liegen, die sie mit den Haaren ihrer Angestellten gepolstert haben, und mit dem Schweiß der Berufstätigen gurgeln, dürfen die Armen, Ausgebeuteten und Arbeitslosen das Abwasser aus den Autowaschanlagen trinken und sich gegenseitig aufessen.

Doch wo das Ende der Wurst naht, ist der Zwirn der Rettung nahe. Millionen beißen auf die Hutschnur in ohnmächtiger Wut, doch der Retter der Beraubten, der Engel der Entrechteten ist längst aus dem Zylinderhut gesprungen, um mit nie abreißendem Willen eine bessere Welt auf Erden zu schaffen: Gregor Gysi, der Gesalbte der PDS und aller linken Gerechten. Er ist der fünfzehnte der vierzehn Nothelfer und die ewige Sonne der Gerechtigkeit, die die Blutsauger am Mark des Volkes zum Trocknen an die Leine hängt. Er ist der Befreier, der den Weg zu den Fleischtöpfen Ägyptens weist, darin die fetten Würmer sich spreizen.

Wo er auftritt, schreien sich tausende Augenpaare wund. Seine Fleischmütze zu berühren, macht Kranke satt, und seinen Schuh zu küssen, lässt den Armen Beine wachsen. Er ist besser als Jesus und geht sogar über Asphalt. Der Boden der Versammlungssäle singt unter seinen Füßen, und die Tische in den Talkshows machen sich klein, damit er mit seinen schätzungsweise ein Meter 50 desto größer erscheine: Gregor Gysi, der größte Zwerg unter den Politikern.

Gregor Gysi: Er befreit die Getretenen und Gebissenen vom Joch der Bedrückung im Drangsal der Fron unter der Bürde der Knechtschaft. Er zerbeißt die Ketten der Bande an den Fesseln der Geschubsten und Gequetschten. Seit 1967 ein Dissident, dem Jahr seines Eintritts in die Glaubensgemeinschaft der SED, predigte er von 1971 an als Anwalt der Gestochenen und Gelöcherten den Ohren der Oberen, und seither konnte den neuen Noah, der alle Bedrückten, Bedrohten und Beeumelten in seinen Hut sammelt, nichts auf seinem mit dem Wort der Wahrheit geölten Weg aufhalten, weder das Amt des PDS-Chefs, das er 1992 in den Eimer gab, noch der Fraktionsvorsitz im Bundestag, den er 2000 in den Wind spuckte, oder der Posten des Berliner Wirtschaftssenators für Arbeit und schöne Frauen, den er sich 2002 abschmierte. Zu Asche wurden seine Feinde: Man grillte ihn auf dem Rost seiner Stasimitgliedschaft, doch der Rost schmolz unter ihm. Man schoss mit giftigen Pfeilen auf ihn, als er den Kosovokrieg abstellen wollte, doch die Pfeile blieben in der Luft stehen. Man operierte ihn in einem bürgerlichen Krankenhaus an Herz und Hirn, wo man ihm Plaste-Adern aus Schkopau einpflanzte und Schaltkreise aus feuchtem Schlamm implantierte, doch Gregor Gysi stand wieder auf am Ostermorgen.

Gregor Gysi: Er ist der Unvergängliche, der immer wieder aus dem Sack hüpft. Er ist der Unverwundbare, der als Unbeschädigbarer für immer unverstümmelbar ist.

Er ist der Augenstern des Volkes, für dessen breites Wohl er wirket allenthalben, und sein Patron wie Fürsprecher, für das er auf der Mattscheibe spricht. Er, der schon als Berliner Schnauze geboren wurde, stellt seinen Scheffel nicht unter den Schemel, sondern tritt überall mit gewitzter Zunge auf, und in den Girlanden seiner mausflinken Rede verheddern sich die langsamen Kuhgedanken seiner Gegner.

Gregor Gysi wird den Reichen den Teller unter dem Fleisch wegziehen und ihn den Ärmsten schenken. Er wird den Tänzern um die goldene Marktwirtschaft eine Kneifzange in den Schritt werfen, und die Speichellecker der Lakaien unter den Bütteln der neoliberalen Schergen wird er durch den Wolf leiern, ehe sie hoppla sagen können.

Gregor Gysi: Was ihm äußerlich an Körperlänge fehlt, macht er an Kleinheit mehr als wett. Dreihundertmillionenmal übereinander gestellt, reicht er bis zum Mond. Und das reicht dann wirklich. PETER KÖHLER