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Gegenrede als Handlungsoption

Hass und Beleidigungen sind im Netz allgegenwärtig. Damit betroffene Menschen sich nicht aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen, braucht es Gegenwehr. Doch die sollte gut durchdacht sein. Beratungsstellen helfen dabei

Hatespeech trifft oft Menschen aus gesellschaftlich benach­teiligten Gruppen Foto: Thomas Trutschel/photothek.net/imago-images

Von Helke Diers

Dass der buchstäbliche Kübel Scheiße in Kommentarspalten, Threads und Tweets über einzelnen Menschen ausgegossen wird, kennen wir alle. Besonders oft trifft es jene, die zu einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe gehören oder sich mit dieser solidarisch zeigen. „Hatespeech“ – zu Deutsch Hassrede – werden aggressive oder allgemein abwertende Aussagen gegenüber Personen genannt, die bestimmten Gruppen zugeordnet werden. So wird es jedenfalls in einer durch den Online-Kampagnen-Verein Campact beauftragten Befragung von 2019 definiert.

Typische Fälle seien Menschen, „die auch im analogen Leben oft angegriffen werden“, sagt Claudia Otte von HateAid. „Zum Beispiel aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung oder Herkunft.“ Die Beratungsstelle Hate­Aid unterstützt seit 2019 Betroffene digitaler Gewalt. Neben solchen Angriffen gibt es individuelle Beleidigungen, Belästigungen und Cybermobbing. In einer aktuellen Forsa-Umfrage gaben fast 80 Prozent der deutschen In­ter­net­nut­ze­r:in­nen ab 14 Jahren an, im Internet schon einmal Hasskommentare gesehen zu haben.

Die heutige grüne Europaabgeordnete Hannah Neumann wurde bereits mehrmals Ziel solcher Onlineattacken. Im März 2018 hatte sie zu einem Bild der neuen, rein männlichen Führungsriege des Bundesministeriums unter Horst Seehofer „Nicht meine Heimat!“ getwittert und die Hashtags ­­#Diversity, ­#Feminism und ­#Vielfalt benutzt. „Da ging es los“, sagt sie rückblickend. Ein Teil der Kommentare war sexualisierter Art, darunter „Vergewaltigungs­fantasien“. Das habe sie zunächst so hingenommen. Damals war sie noch keine Abgeordnete mit Büro und Mitarbeiter:innen.

Ein zweites Mal erwischte sie es im Herbst zwei Jahre später, als sie im Europaparlament einen Antrag zur Menschenrechtssituation auf den Philippinen vorantrieb. Diesmal ging eine philippinische Trollarmee gegen sie vor, sagt Neumann. „Die haben sie einmal über mich drüber geschickt.“ Und schließlich gab es erneute orchestrierte Angriffe zu Beginn des Jahres 2021: Sie hatte sich dafür ausgesprochen, wegen möglicher Verbindungen zum Islamischen Staat in Syrien inhaftierte europäische Staatsangehörige zurück nach Europa zu holen. In Facebook-Gruppen sei danach gegen sie mobilisiert worden. „Das hatte auf jeden Fall einen AfD-Hintergrund und eskalierte so sehr, dass ich bei Hate­Aid angerufen habe.“

Doch was genau lässt sich gegen Hatespeech tun? Claudia Otte von HateAid erzählt, wie eine Beratung in der Praxis aussieht: „Wir schauen im Gespräch gemeinsam, was die betroffene Person braucht, wie die Situation ist und ob es Handlungsbedarf gibt.“ Gemeinsam werde erörtert, ob es eine konkrete Gefährdung gebe und die Polizei eingeschaltet werden solle. Außerdem werde die digitale Sicherheit überprüft. „Sind die Passwörter sicher, wurden Accounts gehackt, was für Daten gibt die Person preis?“, sagt Otte. Emotionale Stabilisierung, digitale Sicherheit, Kommunikation nach außen, mögliche juristische Schritte, Prozesskostenfinanzierung – die Liste der Themen, bei denen HateAid unterstützt, ist lang.

Die durch den Europarat initiierte No Hate Speech Movement ist seit 2016 in Deutschland bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen angebunden. Auf no-hate-speech.de finden Nutzer:innen unter anderem Memes mit teilweise ironischen Gegenreden zur Weiternutzung, Videos und Ideen für Umgangsstrategien.

HateAid unterstützt und berät kostenlos Betroffene digitaler Gewalt. Auf hateaid.org gibt es unter anderem Anleitungen für das Erstellen rechtssicherer Screenshots, Informationen zu rechtlichen Schritten und Artikel zu digitaler Sicherheit.

Auf den Seiten der Amadeu Antonio Stiftung (www.amadeu-antonio-stiftung.de) finden sich unter dem Reiter „Hate Speech und Debattenkultur“ zahlreiche Flyer und Broschüren. Und hier gibt es auch ein Tool zum Erkennen und Widerlegen antifeministischer Behauptungen: gegen-antifeminismus.de.

Das Projekt Belltower.News bietet Grundlagentexte und Neuigkeiten zum Beispiel zu konkreten Verschwörungs­erzählungen oder bestehenden rechten Netzwerken.

Strategien gegen Hassrede und Beleidigungen finden sich auch auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung. Einen Überblick zu Initiativen gegen Hate Speech in Deutschland bietet wiederum die EU-Initiative klicksafe.

Für die Politikerin Neumann übernahm HateAid das Sichten, Sichern, Löschen und Verfolgen der Hassbotschaften. Die Beratungsstelle bekam dafür temporär Zugang zu ihren Accounts. Neumann selbst musste nur Entscheidungen zu rechtlichen Schritten treffen, erinnert sie sich. Dadurch konnten ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen sich wieder ihrer eigentlichen Arbeit widmen. Denn auch das ist ein Problem von Hatespeech: Sie bindet Ressourcen.

Wenige Accounts zeigen sich oft verantwortlich für viele abwertende Kommentare und Likes. Damit entsteht eine verzerrte Wahrnehmung der tatsächlich geteilten Meinungen und Mehrheiten. Und das ist Absicht: Häufig stecken hinter Shitstorms organisierte Angriffe und keine zufälligen Einzeltäter:innen. Claudia Otte spricht von professionell organisierten Gruppen, die sich über Messengerdienste wie Telegram und Plattformen wie Face­book offen oder im Darknet absprechen. „Reconquista Germanica“ wurde etwa als ein solches rechtes Netzwerk bekannt und versuchte unter anderem Einfluss auf die Bundestagswahl 2017 zu nehmen.

Das hat Folgen für die öffentliche politische Meinungsbildung. Rund die Hälfte der bei Campact befragten Nut­ze­r:in­nen bekennen sich wegen Hasskommentaren im Internet zum Bespiel seltener zu ihrer politischen Überzeugung und/ oder beteiligen sich seltener an Diskussionen. Die Grüne Neumann erlebt Ähnliches bei jungen Ak­ti­vis­t:in­nen in der analogen Welt. Zum Beispiel eine Zurückhaltung, wenn es darum geht, sich für politische Ämter zu bewerben. Dass digitale Gewalt zu einem „Entscheidungskriterium“ für politische Partizipation werde, dürfe nicht sein, sagt sie.

Onlinehass hat meist auch psychische Folgen. In der Campact-Studie erlebten das rund zwei Drittel der selbst Betroffenen. Abgeschlagenheit, Lustlosigkeit, Angst und Unruhe rangierten auf den vorderen Plätzen. Hannah Neumann ist es gelungen, sich vom Hass im Netz zu distanzieren. Sie sagt, sie habe sich im Wissen um mögliche Konsequenzen für eine politisch exponierte Stellung entschieden. „Die digitale Hetze hat auf mich analog keinen Einfluss.“

Hinter Shitstorms stecken häufig organisierte Angriffe und keine zufälligen Ein­zel­tä­te­r:in­nen

Nicht nur Shitstorms rauschen durch die digitale Welt, auch einzelne beleidigende oder diskriminierende Kommentare, Memes, Tweets. Was also tun, wenn es gemein wird? „Es ist immer gut, erst mal einen Schritt zurück zu machen, durchzuatmen und sich nicht zu einer schnellen Gegenreaktion hinreißen zu lassen. Sich bewusst zu machen: Du bist nicht schuld. Oft steckt ein Täter dahinter, der für seine eigene Wut eine Projektionsfläche sucht“, sagt Beraterin Otte. Emotionaler Support durch Freun­d:in­nen oder eine Beratungsstelle könne helfen.

Wer für sich die Option juristischer Schritte offenhalten möchte, sollte Beweise durch Screenshots mit Datum, Namen, Uhrzeit und Kontext sammeln. Wie das geht, erklärt unter anderem HateAid auf ihrer Website. Auch Mitlesende können solche Bilder an HateAid schicken, die diese gegebenenfalls an die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) weiterleitet. Letztlich ist nur ein kleinerer Teil der Schrei­be­r:in­nen überhaupt ermittelbar. Das ändert für Hannah Neumann nichts daran, es trotzdem zu versuchen: „Ich freue mich über jede Person, die Papierarbeit bekommt und bezahlen muss.“ Hassrede und Beleidigungen können außerdem bei den jeweiligen Plattformen gemeldet werden. Ob und wie schnell Beiträge tatsächlich gelöscht werden, hänge allerdings von den jeweiligen Betreibern ab, sagt Claudia Otte.

Auch wer nicht selbst betroffen ist, kann sich solidarisch verhalten. „Einfach eine nette Nachricht schreiben. Fragen, ob man helfen kann“, sagt Neumann. Solidarische Kommentare könne auch schreiben, wer in der Öffentlichkeit nicht bekannt sei. „Counterspeech“ – also die aktive Gegenrede als Handlungsoption – nennt auch die Amadeu Antonio Stiftung auf ihrer Webseite als probates Mittel. Sie richtet sich auch an stille Mitlesende. Nachfragen, problematische Aussagen benennen oder Fakten richtigstellen können Teil dieser Strategie sein.