BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Für diese Gewürzentenbrust lohnt die Maloche

Jan Feddersens Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Horváth am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg bietet Cuisine der raffiniertesten Kochart

Koch Wolfgang Müller ist ein stämmiger Typ, dessen Unterarme durch rote Wundstellen verziert sind, die sich ausnehmen wie Wunden aus einem Kampf um den besten Geschmack. Jetzt hat er keine Zeit. Nicht um 18 Uhr, dann ist die wichtigste Zeit, dann muss in seinem Refugium alles stimmen, dann gilt es zu erfüllen, was Edith Berlinger zusammenfasst mit dem Satz: „Wir müssen gut sein, mehr sogar als das, wir wollen zeigen, dass hier in dieser Ecke Spitzenküche angenommen werden kann.“

Hörbar Österreicherin, ist Berlinger überaus entschlossen, aus dem früheren Exil, einem legendären österreichischen Haus, wieder eines mit dem Klang von Begehrenswertem zu etablieren: Das Horváth ist äußerst neu am Paul-Lincke-Ufer, die Promenade der Riviera von Kreuzberg. Jahrelang war dort ein Italiener mit einer Küche aus allem und nichts – so wie mittelambitionierte Italiener eben sind.

Horváth ist irgendwie aus dem Jolesch hervorgegangen, einen knappen Kilometer entfernt das Haus, das hier an dieser Stelle auch schon gelobt wurde: Aber das neue Haus ist noch besser, denn Wolfgang Müller ist ein Meister, der es nicht nur theoretisch kann, sondern wenn es darauf ankommt. Man sitzt im Garten auf eisernem Gestühl – und wird aufmerksam bedient, unaufdringlich, angemessen in Ruhe gelassen. Innen regiert feines Holz, die Sitzarrangements sind etwas zu kühl vielleicht, ohne jede Chichi, frei von misslicher Gemütlichkeit.

Wir schauten auf andere Teller: Alles prächtig, der Fisch, das Fleisch, die Desserts, das Brot nebenbei, dazu Butter und Zwiebelcreme … Wir nahmen das Menü, das mit einem Carpaccio vom Rinderfilet startete – eingebettet in Limonenöl und mit gehobeltem Parmesan beflockt. Das Zanderfilet kross außen und innen saftig. Die Gewürzentenbrust, das darf gesagt werden, ist die beste, die wir in Berlin bisher gegessen haben, die Krautfleckerl in einer Gemüsekümmelsoße sind von wuschigster Beiläufigkeit serviert. Das Dessert … nun: Es war eine Crème brulée aus Holunderblüten, dazu, auf einem japanischen Tablett serviert, Buttermilchsorbet: Herr Müller machte daraus freilich keinen Dialog der Elemente, sondern ließ jedes Teil für sich stehen.

Mit anderen Worten: Kreuzberg hat einen Fresstempel, der offenkundig zu den Sternen greift. Es wäre zu schade, wenn dieses Viertel es mit Nichtachtung bestrafte, das vom sozialromantischen Ruf lebt und doch seine ströbelesken Reichen dort gern wohnen hat. Das Horváth kann doch nichts dafür, dass exzellente Küche ihren Preis hat. Außerdem: Diese Küche zeigt, wofür sich jede lohnabhängige Plackerei ernsthaft erst lohnt.

HORVÁTH, Paul-Lincke-Ufer 44 a, 10999 Berlin, U-Bahn Schönleinstraße/Kottbusser Tor; Fon (0 30) 61 28 99 92, Fax (0 30) 61 28 95 95, Di.–Sa., 18–1 Uhr. Gerichte: 9 bis 19 Euro, Menü 38 bis 60 Euro – Getränke extra. Weine auf Empfehlung. Noch keine Kreditkarten