Thomas und Torsten
: Warschauer Brücke

Imma wenijer Jeld, immer mehr Schufterei

Auf der Warschauer Brücke begegnen sich täglich Tausende Menschen aus unterschiedlichen Berliner Welten: die einen, aus den östlichen Bezirken und Vororten kommend, hasten auf ihrem Weg zur Arbeit beim Umsteigen zwischen S-Bahn und U-Bahn über die Brücke; die anderen sind Anwohner aus Kreuzberg oder Friedrichshain. Meist hetzen Innenstadt- und Nichtinnenstadtbewohner achtlos aneinander vorbei, manchmal gibt es Reibereien – und mitunter treffen sich alte Bekannte.

„Sach mal, bist du et, Thomas?“, ruft ein Mittvierziger in abgewetzten Jeans einem gleichaltrigen Anzugträger zu, der an ihm vorbeläuft. Der dreht sich um. „Mensch, Torsten. Wat machst’n du hier?“ „Ick wohn imma noch draußen in Neuenhagen, so wie damals, als wa zusammen zur Penne jejangen sind, und du?“ Thomas geht einen Schritt auf Torsten zu. „Ick wohn jetzt in Friedrichshain, hab ja nach dem Abi studiert und bin jetzt Anwalt in ner großen Kanzlei. Und du?“

Zu DDR-Zeiten sei er trotz Abi erst mal Maurer geworden, erzählt Torsten. „Da konnt ick am Wochenende schalwerken und sojar Westjeld vadienen. Schwarz, weeste.“ Nach der Wende sei er auf dem Bau geblieben. „Aber det wurde imma schlimmer: imma wenijer Jeld, imma mehr Schufterei, imma wieda arbeitslos. Vor zwee Jahren hab ick umjesattelt uff Altenpflege. Jetzt bin ick Leiharbeiter in vaschiednen Altersheimen, für nen Appel und nen Ei. Aba weeste, wie man Jeld sparen kann? Mit schwarzfahrn. Der Trick is…“ Torsten, der Wendeverlierer, beugt sich zu Thomas und spricht leise etwas in dessen Ohr. Ist es Angeberei oder funktioniert der Trick wirklich, gleichsam die notwendige Schlitzohrigkeit des Prekariats darstellend, das ums Überleben kämpft? „Nich schlecht“, meint Thomas. „Aber für mich is det nüscht. Ick hab’s ja ooch nich nötich.“ RICHARD ROTHER