Federführende Vollversager

Da kann die Kontext-Wochenzeitung sich feiern, wie sie will – besonders viel erreicht hat sie ja nicht. Findet jedenfalls Cornelius W. M. Oettle, der uns zum Jubiläum beschimpft.

Von Cornelius W. M. Oettle↓

Klicke ich mal wieder versehentlich auf die Inter­net­beilage Kontext, erinnert mich die stilsicher in den Farben der Reichskriegsflagge gehaltene Homepage stets an einen meiner größten Fehler: Täglich bereue ich, in diesem primitiven Provinzperiodikum nicht unter Pseudonym publiziert zu haben. In der Redaktion sind sie da cleverer und schreiben bei ihren Artikeln einfach irgendeinen Blödsinn in die Autorenzeile: „Gesa von Leesen“ oder „Minh Schredle“ – echte Namen sind das wohl kaum, aber der Kontext-Kundschaft kann man halt alles erzählen.

Als es vor 11 Jahren mit Kontext losging, nahm ich gerade meine Autoren­tätigkeit im Kulturressort der „Stuttgarter Nachrichten“ auf, die damals noch nicht die „Stuttgarter Zeitung“ waren. Ganz recht: Ich habe vor meinem Absturz ins Unseriöse mal für eine richtige Zeitung geschrieben, auf Papier und mit Lesern und so. Gewissermaßen bin ich als Autor daher genauso alt wie Kontext. Und obwohl ich mittlerweile überwiegend in Fachpublikationen wie „Titanic“, „Postillon“, „Eulenspiegel“ und auf der Quatschseite der taz veröffentliche, hätte ich so viel Unsinn, wie seither in Kontext zu lesen war, selbst in 111 Jahren nicht zustande gebracht.

Wenn ich manchmal an diese Anfangszeit zurückdenke und mich frage, was aus all den abgehalfterten Gestalten geworden ist, mit denen ich dereinst mittwochvormittags verkatert bei Pressevorstellungen im Atelier am Bollwerk rumhing, finde ich deren Namen zuverlässig bei Kontext. Redakteur Oli Stenzel zum Beispiel, der unsereinen nicht weniger zuverlässig in den unpassendsten Momenten anklingelt, während man etwa im Europäischen Parlament zu Brüssel tagt, und der sich dann erkundigt, ob man sich nicht rasch für einen launigen Kontext-Artikel in einer abgefuckten Albkaserne mit Winfried Kretschmann ein paar Panzerhaubitzen oder irgend so einen Scheiß anschauen will, ich höre da ehrlich gesagt schon gar nicht mehr richtig zu.

Dabei hätte ich es wissen müssen: Schon früh haben die Redakteure im Möhringer Pressehaus mich gewarnt und mir jungem Knaben regelmäßig erklärt, was für ein Sauhaufen Kontext eigentlich ist. „Mein Kind, wenn dich die bösen Buben locken, so folge nicht!“, riefen sie, doch ich Esel hörte nicht hin.

Sicher, heute erfahren dieselben Redakteure, was für ein Sauhaufen ihr Presse­haus eigentlich ist, und das eher noch aus Kontext als von der eigenen Führungs­etage, aber darüber will ich mich hier nicht lustig machen, als Satiriker trete ich nicht nach unten. Lange habe ich mich nach meinem dortigen Abschied jedenfalls gefragt, wie es der SWMH möglich war, die konkurrenzbefreiten Blätter StN und StZ trotz vergleichsweise üppiger finanzieller Ausstattung dermaßen zu ruinieren. Doch dank Kontext weiß ich jetzt, dass es nicht aufs Budget ankommt: Man kann auch mit wenig Geld keinen Erfolg haben.

Wenn Christoph Sonntag eine Zeitung wäre …

Bei einer Zeitung geht’s indes ohnehin nicht um Kohle, sondern um Qualität. Und die hat bei Kontext eben niemals nachgelassen, weil hier schon seit dem ersten Tag derselbe niveaulose Schrott bzw. Stiefel runtergeschrieben wird. („Susanne Stiefel“, noch so ein alberner Nom de Plume.) Vor Kompetenzverlust, wie ihn andere Häuser erleiden, ist man dank des einzigartigen Kontext-Konzepts gefeit, vertraute man doch von Beginn an auf federführende Vollversager. Das zieht sich durch von Josef-Otto Freudenreich, der es auch nach 11 Jahren noch immer nicht geschafft hat, StZ-Chefredakteur Dorfs zum Porsche-Pressesprecher zu schreiben, bis zu Krückenkolumnist Joe Bauer, der so alt ist, dass ich ihm während der Pandemie angeboten hatte, für ihn einkaufen zu gehen. Seine undankbare Antwort: „Eher spann ich deine Leiche auf die Pestkarre, Weichei!“ Die typische Kontext-Arroganz.

Ja, man muss es so hart sagen: Wenn Christoph Sonntag eine Zeitung wäre, er wäre Kontext. Eines Tages waren Sonntag und Kontext halt da und bis heute weiß niemand so recht, warum und wozu. Und wenn Sie als Lese­r:in sich jetzt fragen: Geht der Autor da jetzt nicht ein bisschen arg hart ins Gericht mit meiner Zeitung, haben wir als Gesellschaft denn nichts aus unserer Geschichte gelernt, muss es denn immer gleich ein Sonntag-Vergleich sein? Tja, womöglich haben Sie recht. Allein: Was will die Redaktion dagegen machen? Mich nicht mehr für Kontext schreiben lassen? Oohooo, ich zittere! Und überhaupt: Wem mache ich denn was vor? Liest doch sowieso niemand hier. Ich könnte die Zeilen genauso gut mit Lorem ipsum füllen. Oder so: Lalalalalala lalala lalalalalala lala! Sehen Sie? Juckt keine Sau.

Aber gut, okay, stimmt schon: Es ist nicht alles schlecht an der „regionalen Beilage aus Stuttgart“. (So steht’s auf der taz-Homepage … megapeinlich.) Als Medien­indikator zumindest erfüllt Kontext eine bedeutende gesellschaftliche Aufgabe, denn solange ein solch stümperhaftes Blatt als ernsthafte journalistische Arbeit angesehen wird, die der Konkurrenz kontinuierlich Kopfzerbrechen bereitet, muss es um die restliche deutsche Presselandschaft äußerst schlecht bestellt sein. Überdies nimmt die regelmäßige Kontext-Lektüre einem garantiert die Angst vor dem Zeitungssterben. Man freut sich regelrecht darauf. So werde ich dem Niedergang diverser Rundschauen, Kuriere, Abendblätter, Anzeiger, Boten, Volksstimmen, Zeitungen und Nachrichten in den kommenden Wochen und Monaten gelassen begegnen und dabei denken: Hoffentlich erwischt’s bald auch Kontext. Weitere 11 Jahre müssen ja wirklich nicht sein.

Cornelius W. M. Oettle schreibt fürs „Wahrheit“-Ressort der taz, das Faktenmagazin „Titanic“ und den Mikroblogging-Dienst Twitter. Außerdem arbeitet er als Assistent im Europäischen Parlament.