brief des tages
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Schandmal: unangetastet

„Vom Schandmal zum Mahnmal. Die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche muss nicht beseitigt werden“,

taz vom 15. 6. 22

Das BGH-Urteil zum Wittenberger Schmährelief überrascht kaum. Neben dem Exemplar an Luthers Predigerkirche sind 35 weitere antisemitische Hassbotschaften des Hochmittelalters bekannt. 33 dieser Darstellungen befinden sich im deutschen Sprachraum. Es ist nicht erstaunlich, dass international eine klare Sprache gesprochen wird: Das Relief in Wittenberg ist grauenhaft und obszön. Es facht den Antisemitismus an. Die Zurschaustellung ist blanker Rassismus. Die deutsche Diskussion ist hingegen schulmeisterlich, akademisch und verschroben: Es wird von wundersamer Wandlung gesprochen, wonach das böse Schmährelief sich in ein Mahnmal gewandelt habe mittels einer kaum verständlichen Bodenplatte aus DDR-Zeiten, die als dialektische Antithese verstanden werden soll. Überlegt wurde auch schon, alle Objekte mit einer Lichterkette zu verbinden. Das ist kein absurdes Theater, es ist deutsche Realität! So ist es vielleicht folgerichtig, dass der Europäische Gerichtshof wohl das letzte Wort sprechen wird.

Lüder Stipulkowski, Dörverden