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das portraitThomas Bollmann demonstriert für Seenotrettung

Für seine Fotoaktion „Shame“ fotografiert Thomas Bollmann Menschen mit einem Bild von Rettungs­schiffenFoto: privat

Zum Weltflüchtlingstag steht Thomas Bollmann früh auf und packt seine Plakate ein, um das zu tun, was ihm wichtig ist: unbequem sein. Für mehrere Stunden stand der 67-Jährige gestern in Wolfsburg vor dem VW-Hochhaus. Er möchte eine Schiffspatenschaft für ein Seenotrettungsschiff von VW erwirken. Dafür war er bereits auf einer Pressekonferenz, wo er den Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess konfrontierte, der dann eine Prüfung seines Vorschlags zusicherte. Bisher sei jedoch nichts passiert. Er kritisiert das „Social Washing“ des Konzerns, die Unterscheidung zwischen „guten und schlechten Geflüchteten“ und den latenten Rassismus der Gesellschaft, den die Ukraine-Krise nochmals offenlegt. Mehrere Millionen Euro habe das Unternehmen über Nacht für ukrainische Geflüchtete bereitgestellt. Bei Geflüchteten aus anderen Ländern dagegen schaue die Politik weiterhin weg. Deswegen macht Bollmann weiter – um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.

Bollmann ist Mitglied des Flüchtlingsrats Niedersachsen und seit vier Jahren mit verschiedenen Aktionen und Ausstellungen aktiv, die das Versagen Europas im Mittelmeer anprangern. Für seine Fotoaktion „Shame“ fotografiert er Menschen, die ein Zeichen gegen die europäische Abschottungspolitik setzen wollen. Sie posieren mit einem großem Plakat, das zwei Rettungsschiffe im Mittelmeer mit dem Banner „Shame on you, Europe“ zeigt. Verschiedene bekannte Gesichter haben sich an der Aktion beteiligt.

Seine Plakate gehören für ihn zum Reisegepäck. In den jeweiligen Städten stellt er sich zwei bis drei Stunden damit in die Fußgängerzonen. Mit den öffentlichen Aktionen will er die Städte dazu bewegen, sich zu „Sicheren Häfen“ zu erklären, ein Bündnis von Kommunen, die ihre Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete bekräftigen. „Und es funktionierte. Da hab ich dann keine Wahl mehr gehabt: Weil ich dieses Werkzeug in der Hand hatte, musste ich weitermachen“, meint Bollmann. Städte und Landkreise, bei denen er nach eigenen Angaben Erfolg hatte, sind beispielsweise Wittingen, Helmstedt, Wolfsburg und Gifhorn.

Bollmann hat 17 Jahre lang bei Audi in der Qualitätssicherung gearbeitet, davor war er im Berufsförderungswerk Goslar tätig. Anschließend hat ihn die Deutsche Technische Akademie in Helmstedt abgeworben, wo er Stipendiaten aus aller Welt betreute. Deren Lebensgeschichten haben ihn sensibilisiert, erzählt er: „Das hat mich dann nicht mehr so richtig losgelassen. Dann siehst du halt die Welt anders, wenn du wirklich mit Menschen konfrontiert bist.“ In Gifhorn gründete er einen interkulturellen Stammtisch, wo man unter anderem die arabische Sprache und Kultur lernen kann. „Es ist furchtbar für einen Menschen, wenn er immer nur nehmen muss und nicht geben darf“, meint Bollmann.

Der Aktivist ist seit jeher neugierig gewesen, hat sich mit Philosophie und Politik auseinandergesetzt. Besonders Hannah Arendt hat ihn geprägt. Er kommt selbst aus einer sozialdemokratischen Familie und war auch eine Zeit lang im Kreisvorstand in Heilbronn tätig. Mit 19 Jahren war er bei der Marine. Er erzählt von seiner Angst auf offener See bei eigentlich sicheren Übungsmanövern und sagt, er könne nicht verstehen, wie man heute im Mittelmeer Menschen beim Ertrinken zusieht. „Das ist ein Menschheitsverbrechen, was da stattfindet“, sagt Bollmann. „Und ich verstehe nicht, dass gerade meine Generation total versagt. Mensch, die 68er, was haben die alles gemacht, die Friedensbewegung, die Anti-Atomkraftbewegung. Wo sind die alle? Warum sind die nicht auf der Straße?“ Hannah Reupert

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