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: HELMUT HÖGE über das Museums-Gründungsfieber

Orte des Vergessens, über die wir niemals erschrecken dürfen

Täglich wird irgendetwas musealisiert: eine leer stehende Fabrik, ein Haufen Bagger, eine Plakatsammlung, der Vorgarten einer berühmten Villa, ausrangierte Radio- und Faxgeräte, Bleisoldaten, alte Klamotten aus den Fünfzigerjahren und so weiter. Vor allem gilt dies für Berlin, wo inzwischen mehr Leute im Tourismus beschäftigt sind als in der Industrie. Über 200 Museen gibt es hier schon (einschließlich Schlösser und Gedenkstätten). Und diese wundersame Museumsvermehrung wird noch einmal durch die Entwicklung der Eventkultur enorm verstärkt: Statt kontinuierlicher Kulturarbeit werden immer mehr darin Beschäftigte „freigesetzt“, um fortan nur noch bei großen oder kleinen Events prekär, das heißt temporär als „Kreative“ tätig zu sein.

Mark Terkessidis führte dazu kürzlich auf Einladung der AG „Prekäre Perspektiven“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Kreuzberg aus, dass erstens die Kreativen besonders häufig depressiv werden und zweitens, dass ihre Depressionen quasi Avantgarde seien. Das rechtfertige es, die neuen Leiden der jungen Kreativen gewissermaßen klassenübergreifend zu verallgemeinern. Im Gegensatz zu den Arbeitslosen überfalle die Depression die Kreativen jedoch erst nach Abschluss eines „Projekts“. Aber nicht, weil sie dann nicht wissen: Was tun? Sondern im Gegenteil: Weil es „ein Meer von Möglichkeiten“ gibt. Es ist ein Leiden an der Fülle, nicht an der Leere.

Davor hatte bereits der Zagreber Philosoph Boris Buden auf einer „spannenden Veranstaltung“ in der österreichischen Botschaft geklagt: „Alles wird Kultur!“ Spätestens seit 1989 und verstärkt noch seit dem 11. September 2001 würden die politischen Probleme zunehmend nur noch als kulturelle wahrgenommen: „Es gibt geradezu eine Hegemonie des Kulturbegriffs.“ Man spricht von Körperkultur, Wohnkultur, politischer Kultur, Unternehmenskultur und so weiter. „Diese Kultur lässt sich aber in nichts anderes mehr übersetzen“, so Buden.

Sie lässt sich jedoch – in ihrer musealisierten Form – managen und vermarkten. Dazu wurde bereits 1978 per Senatsbeschluss der „Museumspädagogische Dienst“ (MD) gegründet, der heute in der Brunnenstraße und in der Klosterstraße domiziliert ist und das „Museumsjournal“ herausgibt sowie „Die lange Nacht der Museen“ organisiert, bei der mittels Bus-Shuttle selbst das kleine, periphere Zuckermuseum oder das Museum der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Faschismus von Besuchern geradezu gestürmt werden. Ähnlicher Beliebtheit erfreut sich „Die lange Nacht der Wissenschaft“, die kürzlich im Journal der Akademie der Wissenschaften sehr gelobt wurde – ganz im Gegensatz zu dem umweltverschmutzenden Großevent „Albert Einstein“.

Man sollte meinen, dass der MD derzeit zusammen mit der „Berlin Tourismus Marketing GmbH“ auf dem Wege zu einer Rieseninstitution ist. Seltsamerweise ist jedoch das Gegenteil der Fall: Zwar wird der MD von der Politik gerne als „Feuerwehr“ missbraucht, aber ansonsten hat man ihm „Die lange Nacht der Wissenschaften“ weggenommen, ebenso die Volontärsausbildung. Und im nächsten Jahr wird er als GmbH prekär verselbstständigt. Außerdem geht gerade sein langjähriger Direktor Michael Drechsler in Pension.

In den ersten Jahren – bis zur „B 750“-Stadtfeierei 1987, bei der sich die Kulturschaffenden ein letztes Mal gesundstoßen konnten – gab es Widerstände seitens der Museen, die sich nicht reinreden lassen wollten. Aber an den übergreifenden MD-Aktivitäten beteiligen sie sich jetzt gerne: Das spart Werbeausgaben, die sie nicht haben (was zum Beispiel das Botanische Museum beklagt), und zieht wahre Besuchermassen an – unter anderem in eine nächtliche Klanginstallation im tropischen Gewächshaus.

Von vielen Museen wüsste man gar nichts ohne den MD. Deswegen sollte man ihn lieber personell verstärken, als immer mehr Museen aus dem märkischen Sandboden zu stampfen. Mark Terkessidis erwähnte als Vorbild Barcelona, dessen Servicio Pedagógico nicht einmal mehr davor zurückschreckt, Streiks und Straßenschlachten touristisch zu vermarkten.