neues aus neuseeland: einmarsch der roten armee von ANKE RICHTER
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Es war ein milder Wintertag. Der erste Schnee lag auf den Bergen. Schafe grasten, Wale zogen an der Küste vorbei und Peter Jackson saß im Schneideraum. Dann begann die Invasion. Wie Panzergeschwader schoben sich Wohnmobile vom Boden der „Britz“-Autovermietung ins feindliche Territorium. In den Pinkelpausen stiegen Furcht einflößende Kerle aus den Ungetümen: Übernächtigt, verkatert und komplett in rote Sporttrikots verpackt. Es ist Englands Promille-Armee, seit drei Wochen unterwegs, um die Mutter aller Schlachten zu schlagen. In Kiwi Country herrscht Ausnahmezustand. Es ist Rugby-Saison.

Nur alle zwölf Jahre tritt die britische Nationalmannschaft der Lions (Teamfarbe: Rot) gegen die neuseeländischen All Blacks (Teamfarbe: Drei mal darfst du raten) an. 1959 folgten den Löwen gerade mal 20 Mann ins Feindesgebiet. Diesmal sind es angeblich 20.000. Daran sieht man, wie schädlich Flugverkehr sein kann.

Der harte Kern nennt sich „Barmy Army“. Die „Armee der Bekloppten“ wird von einem trinkfesten Spaßvogel namens Freddie Parker angeführt. Rugby ist in England kein Proletensport. Die Fans haben das Kleingeld, um die halbe Welt zu belästigen. General Parker trägt rotes Adidas, einen roten Hut mit Wimpeln und gern ein Frischgezapftes vor sich her. „Sperrt eure Töchter weg“, drohte er den Milchbauern, „wir sind auf Liebe und Abenteuer aus!“

Liebe und Abenteuer – nichts anderes fällt einem spontan ein, wenn man in diesen Tagen durch Neuseelands Großstädte flaniert und sich die Soldaten des Königreichs anschaut, wie sie aus den Pubs und den Puffs quellen. Rotgesichtig und rotleibig, verrutschte Kelten-Helme, ein gestreiftes Rugby-Trikot überm Schottenrock und hoffentlich noch was darunter. In der Hand Plüschlöwen schwingend, von denen Biertropfen fliegen. Sport ist schön und verbindet.

Am vergangenen Wochenende belagerten sie Christchurch, diese Woche sind sie in Wellington, und dummerweise bin ich jedes Mal gerade dort. Man kann nur hoffen, dass die meisten sich verfahren. Radio Neuseeland hat eine Reisewarnung an alle Besucher ausgegeben, bitte zunächst auf die Landkarte zu gucken. Die ersten Wohnmobile sind bereits im Graben gelandet, weil die Kampftruppen auf die Schnelle von Auckland zum Spiel nach Dunedin fahren wollten. Auch für ein kleines Land ist das eine ordentliche Strecke: immerhin 1.200 Kilometer.

Das Match am Samstag habe ich mir dann doch noch angeschaut. Also zumindest den „Haka“ am Anfang. Das ist der Maori-Kriegstanz mit Zungerausstrecken, Stampfen und Gebrüll, den die All Blacks immer vorher aufführen. Sehr ästhetisch, da ein Drittel der Mannschaft Samoaner und/oder Rastamähnenträger sind. Da kann ein Freddy Parker noch so viele Lieder anstimmen: Die Lions sehen so aus, wie sie gespielt haben. Nach 30 Sekunden lag ihr Kapitän mit gebrochenem Schlüsselbein auf dem Boden. 21:3 verloren.

Der 17-jährige Andy Domigan widmete ihnen ein Gedicht: „Sie sind von weit her angereist / In dies Land des Sterns des Südens / Sie kämpfen als Löwen, als Führer von allen / gegen den Kiwi-Vogel, scheu und klein.“ Damit gewann Andy den Wettbewerb unserer Tageszeitung.