Formvollendet, langlebig, schön

GESTALTUNG Die Ausstellung „Schönheit des Kollektiven“ zeigt wunderschöne Alltagsgegenstände aus der DDR in der Kommunalen Galerie Berlin in Wilmersdorf

Anspruchsvolle Designer hatten einen schweren Stand in der DDR

VON BARBARA BOLLWAHN

Die DDR steht für Mangel- und Planwirtschaft und für Massenware statt für anspruchsvolle Produkte. Eine Ausstellung attestiert nun dem vor mehr als 20 Jahren untergegangenen Arbeiter-und-Bauern-Staat Formvollendung, Langlebigkeit, Schönheit, Verlässlichkeit und Ansätze, „die auch für die Gestaltung von morgen wieder relevant werden könnten“ – bezogen auf die Produktgestaltung. In der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf zeigt der Verein „form:ddr e.V.“, dessen Mitglieder allesamt aus dem Westen stammen, die Ausstellung „Schönheit des Kollektiven“, die aus etwa 50 Dingen des Alltags der DDR besteht.

Auch wenn man es kaum glauben mag, aber die Galerie weist darauf hin, dass „wohl zum ersten Mal“ in einem westlichen Bezirk Berlins Produktgestaltung in der DDR Thema einer Ausstellung ist. Begrüßt werden die Besucher von bunten Quietschtieren aus Weich-PVC aus dem Jahr 1979: einer gelben Ente, einem grünen Nilpferd, einem Igel, einem Hasen und einer Robbe in Rot. Ihr plastischer Ausdruck, heißt es im Begleittext, „vermag auch Kunstsinnige zu begeistern“ und sei „mancher Tierfigur des Bildhauers Ewald Mataré ebenbürtig“. Schnörkellos, materialsparend, praktisch, langlebig und schön.

Das gilt auch für das Schachspiel aus Kunststoff von 1965, das sich von den Figuren des traditionellen Schachspiels löst und bei dem Einkerbungen auf den Kreisen und Quadraten die Bewegungsrichtung markieren. Oder der minimalistische und extrem stabile Stuhl aus dem Jahr 1949, der aus gepresstem Formholz besteht und nur industriell gefertigt wurde. „Er nimmt die Prinzipien der Möbelgestaltung späterer Jahre vorweg.“

Bei dem Campingservice von 1958 lassen sich Tasse, Untertasse, Zuckerdose und Milchkännchen passgenau in der Kanne unterbringen. Und bei einer Geflügelschere aus Edelstahl aus dem Jahr des Mauerbaus sind die Feder und die Verschlussschraube im Korpus versteckt und stören die Silhouette nicht.

Ein Klassiker mit Wiedererkennungswert ist die Thermoskanne aus dem Jahr 1959, die „die Anmut eines silbernen Messgefäßes“ ausstrahlt. Selbst so profane Gegenstände wie ein Eiskratzer kommen zu Ehren. Den roten Eiskratzer in Form eines T trugen zahlreiche Tankstellen in der DDR als Markenzeichen und er taucht sogar in dem Roman „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann auf, wo er „nachts schaurig-schön leuchtet“.

Und dann sind da noch die Produkte, die „im wörtlichen Sinne den Menschen zugewandt waren“. Bei einem Kurzzeitwecker macht die schiefe Ebene des Ziffernblatts das Ablesen leicht. Durch einen Knick in der Gehäuseform trifft diese Zugewandtheit zum Benutzer auch auf einen Fön und einen Rasierapparat zu.

Die Ausstellung konzentriert sich auf einen Widerspruch in der DDR: Obwohl die gezeigten Dinge Ausdruck einer „modernen Massengesellschaft“ sind, hatten anspruchsvolle Designer einen schweren Stand in der DDR. In den 1950er Jahren hatte die moderne Gestaltung in der Tradition des Bauhauses unter dem Diktat der Formalismusdebatte kaum eine Chance. Und auch nach deren Rehabilitierung in den 1960ern hatten Designer unter staatlicher Bevormundung, Bürokratie und einer desolaten Wirtschaft zu leiden.

„Umso mehr lohnt der Blick auf das, was dennoch an vorbildlicher Gestaltung entstand“, sagt die Kuratorin Bettina Güldner. Zu der Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm, das aus DDR-Filmen besteht, die ähnlich selbstbewusst und schön wie die gezeigten Produkte sind, und einer Busfahrt nach Eisenhüttenstadt, wo das „Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR“ beheimatet ist.

Anscheinend war die Kommunale Galerie lange nicht mehr so gut besucht wie zur Vernissage der „Schönheit des Kollektiven“. Kuratorin Bettina Güldner war „überwältigt“ und räumte freimütig ein, dass der Textilbereich fehlt. „Den habe ich aus westlicher Sicht unterschätzt“, sagte sie und verteilte einen DDR-Klassiker, der den Mauerfall überlebt hat: die „Spreewaffeln“ eines 100-jährigen Familienbetriebes aus Pankow.

■ „Schönheit des Kollektiven“. Kommunale Galerie Berlin, Hohenzollerndamm 176, Dienstag bis Freitag 10–17 Uhr, Mittwoch 10–19 Uhr, Sonntag 11–17 Uhr, bis zum 31. August 2012, Eintritt frei