Die ermüdende Nacht eines Traumpaars

ROT-GRÜN Von wegen Harmonie: Erst nach einem zähen Verhandlungsmarathon können SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen einen neuen Koalitionsvertrag vorlegen. Federn lassen müssen beide Seiten

„Es gibt fast nichts zu verteilen“

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) weiss, was Sache ist

AUS DÜSSELDORF ANDREAS WYPUTTA

Müde, erschöpft und angestrengt sieht Nordrhein-Westfalens SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus, als sie am Dienstagmittag die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen präsentiert. Der dreiwöchige Poker mit den Grünen ist erst am frühen Morgen nach fünf Uhr zu Ende gegangen. Für eineinhalb Stunden Schlaf ist Kraft danach ins heimatliche Mülheim gefahren – und dann zurück in die Landeshauptstadt Düsseldorf. Krafts grüne Stellvertreterin, Schulministerin Sylvia Löhrmann, sowie die Fraktionschefs Norbert Römer (SPD) und Reiner Priggen (Grüne) wirken nicht viel frischer.

Dabei hatten die Verhandlungen ein problemloser Spaziergang werden sollen. Schließlich ist Kraft schon seit 2010 Chefin einer rot-grünen Minderheitsregierung. Seit den Neuwahlen im Mai verfügt Rot-Grün sogar über eine satte Mehrheit von 128 der 237 Landtagssitze. Stattdessen mussten Sozialdemokraten und Grüne in vertraulichen Runden bis tief in die Nacht ungeklärte Streitpunkte ausräumen: die Energiepolitik, die Lehrerstellen, ein weiteres kostenloses Kita-Jahr, der Nichtraucherschutz.

Nach ihrem Wahlsieg hatten Kraft und Löhrmann immer wieder rot-grüne Gemeinsamkeiten betont. Nun mussten sie ihren Unterhändlern mehr als 10 Stunden lang die „Beichte“ abnehmen, um den Koalitionsvertrag wie versprochen am Dienstag pünktlich zu Krafts 51. Geburtstag vorstellen zu können.

Offiziell wollen beide das natürlich so nicht präsentieren. „Wir haben ein gutes Ergebnis für NRW erzielt“, lobt Kraft das Bündnis – und beginnt mit der Finanzpolitik: In die Landesverfassung soll eine Schuldenbremse eingebaut werden. Spätestens ab 2017 will Rot-Grün jährlich eine Milliarde Euro einsparen. Dazu sollen die Verwaltung gestrafft und Förderprogramme von Subventions- auf Darlehensbasis umgestellt werden.

Außerdem setzt Kraft auf eine „Rendite“ ihrer „präventiven Sozialpolitik“: Die soll die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz ebenso verringern wie die der Intensivstraftäter – und so Kosten für berufliche Warteschleifen und Knäste senken. Doch die Sozialdemokratin weiß, wie knapp ihre Haushalte künftig gestrickt sein werden: „Es gibt fast nichts zu verteilen“, muss sie zugeben.

Dass die Einsparungen von der Abwicklung der maroden einstigen Landesbank WestLB, die sich in der Finanzkrise um ihre Existenz spekuliert hat, aufgefressen werden könnten, bestätigt Kraft erst auf Nachfrage. Das von der SPD gewünschte kostenlose zweite Kita-Jahr wurde deshalb nicht festgeschrieben.

Trotzdem lobt auch die Grüne Löhrmann die „intensive, aber auch produktive Nacht“. Die Schulministerin freut sich über mehr „Inklusion“, also gemeinsamen Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder, ebenso über mehr Nichtraucherschutz.

Die Antiatompolitik dagegen nimmt nicht mal eine der 200 Seiten im Koalitionsvertrag ein. Die von Atomkraftgegnern geforderte Stilllegung von Deutschlands einziger Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau etwa wird zwar unterstützt – aber nur als unverbindliche Absichtserklärung. Strittig bleibt auch der restliche Energiesektor (siehe unten).

Die demonstrative Harmonie Krafts und Löhrmanns könnte sich also weiter erschöpfen. Trotzdem gilt als sicher, dass Parteitage von SPD und Grünen dem Koalitionsvertrag am Freitag zustimmen werden – dazu waren die Verhandlungen schließlich anstrengend genug.

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