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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmVon der Wegwerfhexe und eins, zwei Nachtigallen

Foto: taz

Schon lange hatte ich mich gefragt, wo der Trödelmarkt hin ist, der früher in den Prinzessinnengärten stattfand. Kürzlich dann radelte ich mal einen Weg, den ich sonst meide – und schwupp, da ist er, keine 500 Meter von meiner Wohnung. Schoene­boerg heißt er jetzt. Und ist dort wohl auch schon eine ganze Weile beheimatet.

Wenn das kein Signal zum Entrümpeln ist. Anders als viele habe ich die Lockdowns nicht zum Aufräumen genutzt: Die Wegwerfhexe Marie Kondō hätte ihre Freude an mir. Oder auch nicht. Denn auf ihre Standardfrage, „Does it spark joy?“ würde ich doch fast immer „Ja“ antworten – und am Ende nichts wegwerfen.

Aber vielleicht hätte ja jemand anders noch mehr Joy an den Sachen. Und wenn’s mir schon so leichtgemacht wird, dass ich den Krempel mit dem Rollkoffer zum Stand bringen kann! Also verbringe ich ganze Abende der letzten Woche damit, Ecken und Regale auszuräumen.

Zum Glück bietet XJAZZ! Erlösung von dieser Freizeitgestaltung, die mich nach einer Weile doch in seltsame Erinnerungsschleifen schickt. Ganz toll etwa der Auftritt der Londoner Saxofonistin Nubya Garcia am Freitag im Festsaal Kreuzberg. Der fühlt sich so selbstverständlich an, als hätte es die letzten zwei Jahre nie gegeben. Zugleich wäre das beglückende Bad in einer wogenden Menge im Festsaal ohne die Seuche in den Knochen sicher nicht halb so euphorisierend gewesen.

Ein bisschen seltsam ist es schon: Vor gerade mal einem Monat stolperte man verdutzt aus dem Pandemiemodus raus. Erst noch grummelte ich innerlich, als sich viele Mitmenschen allzu bereitwillig die Masken vom Gesicht rissen, sobald sie durften. Im Supermarkt etwa. Oder auch in der U-Bahn – wobei sie ja an zumindest in den Öffis noch Pflicht sind.

Aber ich will mich auch nicht den ganzen Tag aufregen. Nicht darüber. Und so wechsle ich zehn Mal am Tag mein Verständnis davon, was nun angemessen ist. Nicht, dass diese Meinungswechsel Sinn machen. Auch wenn das Gekuschel im Festsaal grenzwertig ist, fühlt es sich völlig stimmig an, dass hier keine Maske trägt. Während ich mich am Vorabend bei XJAZZ! – allerdings in der weit gesitteteren, weil bestuhlten Emmauskirche bei der so tollen wie schrägen Angel Bat Dawid – schon arg wunderte, warum alle ohne dasitzen. Schließlich würde das Masketragen in dieser Situation kaum Mühe kosten, wäre einfach Zeichen der Höflichkeit. Auch wenn das Risiko hier vermutlich viel niedriger ist als in den Wogen des Festsaals.

Ganz safe war man am Donnerstag im Haus der Kulturen der Welt, hier herrscht noch strenge FFP2-Pflicht. Dorthin lud David Rothenberg zu einem Abend rund um die Nachtigall – der Philosophieprofessor und Klarinettist hat sich schon an mehrere Tierarten angenähert, indem er mit ihnen musizierte. Erst mal vier Stunden, gefüllt mit Film, Lesung, Panel. Was erstaunlich kurzweilig und entsprechend schnell vorbei ist. Um Mitternacht dann soll es bei einem Ausflug in den Tiergarten zur akustischen Zusammenkunft zwischen Rothenberg und der Nachtigall kommen. Die Zuschauergruppe muss sich jedoch keine 50 Meter vom HKW entfernen. Der Vogel ist derzeit einfach allgegenwärtig. Für den einsamen Radfahrer, der sich zu später Stunde durch den Pulk maskierter Menschen schlängeln muss, in deren Mitte sich ein Klarinettist verausgabte, wirkte diese Exkursion vermutlich sehr seltsam. Einen Zusammenhang zum Gesang der Nachtigall stellte er wohl nicht her, die begleitet ihn ja ohnehin die ganze Zeit. Wie auf dem Heimweg dann auch mich. Der Flohmarktsonntag lief dann gut. Mache ich bald wieder.

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