„Wie am Anfang“

Die Karawane zieht weiter, auch Blaue haben Durst: Jetzt im Speicher XI

Ohne den Großmarkt, genannt „Frischezentrum Nord“ war das Setting bilderbuchreif: Am Rand der riesigen Sandfläche, die mal Überseehafen war, lag der lange Riegel des Speicher XI und erinnerte aus der Ferne sehr an die Architektur der tunesischen (Getreide-)Speicherburgen. Zu diesem Zeitpunkt aber hauste Bremens einzige Karawanserei noch mitten im Waller Straßengewirr.

Zwei Jahre, nachdem die frühere Freifläche durch die Aluminiumästhetik des Großmarktes besetzt wurde, hat die „Blaue Karawane“ endlich ihren Speicher-Platz gefunden. Und zwar genau dort (im Segment 4), wo immer noch dicke Blockbuchstaben mahnen: „Auf Gleisen nur bewachte und stets fahrbereite Fahrzeuge abstellen“.

Der ständigen Bewachung zu entgehen, ein selbst bestimmtes Leben zu wagen, war Ende der 70er das große Ziel der antipsychiatrischen Bewegung. Angespornt von italienischen Vorbildern erreichte sie 1980 die Schließung der Anstalt Kloster Blankenburg bei Oldenburg. Es war die bundesweit erste Klinikauflösung. Das mit der „steten Fahrbereitschaft“ passt schon besser: Fünf Jahre später – im Juli 1985 – brach die erste Karawane aus ehemaligen Anstaltinsassen und deren UnterstützerInnen auf, um „öffentlich für die Befreiung von Menschen aus den Mauern der Verwahrungspsychiatrie“ einzutreten. Der Weg führte von Triest über München zurück nach Bremen. Seitdem folgten viele weitere Karawanen, bevorzugt auf Wasserstraßen. Schließlich ist, Wüna, das mitreisende blaue Kamel, mit seinen 12 Metern Länge ein nicht immer leicht zu navigierender Weggefährte.

Nun also wohnt Wüna im Speicher XI. Investor Hübotter hat 450 Quadratmeter zu entgegen kommenden Preisen vermietet, neben dem „Café Blau“ werden sie vor allem für eine große Holz-, Keramik- und Textilwerkstatt mit regelmäßigem Kursangebot genutzt. Wie aber fühlt man sich nach 20 Jahren Karawane? „Wie gerade am Anfang“, antwortet Klaus Pramann, zugleich Mitreisender in Permanenz und niedergelassener Psychiater. Nach der Auseinandersetzung mit der erbarmungslosen Logik der Medizin gebe es jetzt die „mit der Werte- und Arbeitsgesellschaft“. Darum gelte: keine Lohnfertigung, keine Auftragsarbeiten.

Mit Gastronomie und Fortbildungen hingegen wird mittlerweile durchaus Geld verdient – und auch das Feindbild Pharmafirmen scheint so nicht mehr zu existieren. Schließlich dürfen diese die Räume für Vorträge mieten, die dann gemeinsam mit den Kliniken Ost oder Dr. Heines veranstaltet werden. „Vor zehn Jahren hätten wir noch darüber diskutiert“, sagt Pramann. Jetzt aber sei der alte Gegensatz „randständig“ geworden. Er versichert: „Es geht nie um bestimmte Medikamente.“ Und merkt noch an: „Wir verdienen auch mit Bier Geld.“

Wüna schwimmt derweil im Weserwasser, am Freitag geht‘s vom Hohentorhafen über die Weser in Richtung Speicher XI.

Henning Bleyl