Im Bürgersaal
: Wie sich die Grünen fit für die Opposition machen

Nur eines können PolitikerInnen noch weniger gebrauchen als Neid – und das ist Mitleid. Doch davon werden die Grünen in den kommenden Monaten einiges bekommen. In vielen Fällen wird es ehrlich gemeint sein, oft aber hüllt sich lediglich böser Spott ins Gewand des Mitgefühls. Das zartfühlende, ehrliche Mitleid verdienen sich derzeit die Berliner Grünen.

Gegen alle Wahrscheinlichkeit stimmten die Steglitz-Zehlendorfer Grünen am Dienstagabend für Alice Ströver als Wahlkreiskandidatin. Offiziell angekündigt war die Veranstaltung im Bürgersaal Lichterfelde West als „Wahlkampfauftakt“. Doch die etwa 40 anwesenden Parteimitglieder werden gewusst haben, dass die 49-Jährige bei den Bundestagswahlen keine Chance hat. Vor drei Jahren holte Ströver zehn Prozent der Erststimmen im Bezirk. Sie werden auch gewusst haben, dass der vorgebliche Wahlkampfauftakt eher eine Einübung in vier Jahre Opposition im Bund werden würde. „Ich gebe noch nicht alles verloren“, sagte die Kandidatin. Der Applaus war verhalten, die Abendsonne schien durch die schmutzigen Fenster in den Saal.

Worum es wirklich in den kommenden Monaten gehen wird, sagte kurz darauf Reinhard Bütikofer. Der Grünen-Bundesvorsitzende (grauer Dreiteiler, grüne Krawatte) war Gastredner und brachte die neuen Slogans für den Wahlkampf mit. Beispielsweise: „Wir wollen eine sozialpolitische Erneuerung der Gesellschaft, aber in Balance.“ Oder: „Ökologisches Denken wird zur Bedingung für ökonomischen Erfolg.“ Nur einmal hellten sich die Gesichter einiger Anwesender auf. „Die bisherigen Umfragen legen ja nahe, dass Opposition nicht ausgeschlossen ist“, hatte Bütikofer gesagt. Die Sonne schien jetzt nicht mehr durchs Fenster. MATTHIAS LOHRE