Iraks Regierung gegen US-Abzug

Auch schiitische und kurdische Milizionäre sollen gegen Attentäter eingesetzt werden

ARBIL taz ■ Ein Jahr nach Wiederherstellung der irakischen Souveränität ist man in Washington und Bagdad bescheiden geworden. Unisono haben Politiker wie Militärs in den beiden Hauptstädten erklärt, es sei ein Erfolg, dass die Untergrundkämpfer heute nicht mehr ganze Städte wie Falludscha, Mossul oder Samarra kontrollieren. Niemand spricht mehr von dem Plan, der nach den Wahlen im Januar in aller Munde war, die amerikanischen Soldaten im Irak binnen weniger Monate in eine Hand voll Kasernen weit weg von Ballungszentren zurückzuziehen.

Selbst Ibrahim al-Dschafari, der konservative schiitische Ministerpräsident, der vor Monaten noch mit Antiokkupationsrhetorik liebäugelte, will von einem Abzugszeitplan nichts mehr wissen. Er weiß, wenn die Amerikaner abzögen, stünde seine Regierung vor dem Aus. Dies gilt auch für die Vision einer halbwegs geregelten Machtübernahme der Schiiten im Irak von Großajatollah Ali Sistani.

Rund 160.000 irakische Soldaten und Polizisten gibt es mittlerweile, nur ein Bruchteil davon ist freilich im schwierigen Kampf gegen die Untergrundkämpfer einsatzfähig. Zwar verzeichnen amerikanische Kommandeure nach dem Beinahe-Totalkollaps im vergangenen Herbst mittlerweile eine höhere Einsatzbereitschaft. Auch mangelt es weder der neuen Armee noch der Polizei trotz der hohen Opferzahl, den die Selbstmordanschläge unter den Sicherheitskräften fordern, an Bewerbern. Doch Probleme sind weiterhin der Personalmangel auf der mittleren Kommandoebene sowie die Unterwanderung durch Untergrundkämpfer.

Kurdische und schiitische Politiker haben deshalb vorgeschlagen, Peschmerga-Einheiten und die Badr-Truppen des Hohen Rats für die Islamische Revolution in den Kampf gegen die Untergrundkämpfer zu schicken. Pikant daran ist, dass es zumindest offiziell beide seit einem Jahr gar nicht mehr gibt. Noch vor der Machtübergabe hatten alle Parteien der Auflösung oder Überführung ihrer Kampfverbände in die staatlichen Sicherheitsorgane zugestimmt. Tatsächlich findet man die von den iranischen Revolutionswächtern ausgebildeten Badr-Kämpfer heute bei der Polizei in den schiitischen Städten. Die alte Kommandostruktur wurde laut Sicherheitsexperten dadurch aber nicht durchbrochen. Das gilt auch für Orte wie Kirkuk oder Mossul, wo ehemalige Peschmerga heute bei den Sondereinsatzkommandos der Polizei Dienst tun.

Im Zweifelsfall gilt das Wort der eigenen Parteichefs mehr als das des Truppenkommandeurs. Sie haben bisher verhindert, dass alte Konflikte wie unter den Kurden, aber auch unter den schiitischen Fraktionen sich erneut bewaffnet Bahn brechen. Im privaten Gespräch gestehen kurdische Politiker offen ein, dass sie auch deshalb die Präsenz der amerikanischen Truppen weiterhin wünschen. INGA ROGG