EU-Beitritt nach Fahrplan, aber mit Notbremse

EU-Kommissare wollen am 3. Oktober Verhandlungen mit der Türkei aufnehmen. Ziel bleibt Mitgliedschaft des Landes

BRÜSSEL taz ■ Die EU-Kommissare taten sich gestern schwer damit, den von den Regierungschefs in Auftrag gegebenen Spagat schriftlich zu formulieren. Die Verhandlungen mit der Türkei werden wie geplant am 3. Oktober beginnen. Schließlich, so das Signal, steht die Europäische Union zu ihren Zusagen. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird aber so streng unter Beobachtung stehen wie bei keinem anderen Kandidaten zuvor. Denn, so die Botschaft, die Europäische Union nimmt Rücksicht auf die Sorgen ihrer Bürger.

Der finnische Erweiterungskommissar Olli Rehn hatte also keine Überraschungen parat, als er mit fast zweistündiger Verspätung den Verhandlungsrahmen für die 35 Politikfelder präsentierte. Ziel der Verhandlungen sei die Mitgliedschaft. Die Variante „privilegierte Partnerschaft“, die einige konservative Kommissare in den Text aufnehmen wollten, kommt nicht vor.

Rehn betonte aber noch einmal, dass im Gegensatz zu früheren Beitrittsrunden diesmal eine Notbremse vorgesehen ist. Auf Antrag der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedsstaaten kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, die Verhandlungen auf Eis zu legen, wenn die rechtstaatliche oder wirtschaftliche Entwicklung Anlass zu ernsten Bedenken gibt.

Für die 35 Verhandlungskapitel hat die Kommission Mindestbedingungen festgelegt, die vor Gesprächsbeginn erfüllt sein müssen. Rehn nannte etwa die Verhandlungen über den freien Warenverkehr. Diese könnten erst beginnen, wenn die Türkei das Protokoll unterzeichnet habe, mit dem die Zollunion auf die neuen Mitgliedsländer inklusive Zypern ausgeweitet wird.

Auch damit bekräftigt die Kommission lediglich die Forderung, die der Rat im Dezember an die Türkei richtete. Man erwarte darüber hinaus, dass der Normalisierungsprozess mit Zypern fortgesetzt werde und dass eine für beide Seiten zufrieden stellende Lösung gefunden werden könne, um die Insel zu einigen. „Ich bin der Ansicht, dass die Türkei dabei bislang sehr konstruktiv mitgearbeitet hat“, sagte Rehn.

Ankara kann die Kommission also trotz geänderter Großwetterlage weiter als wohlwollenden Gesprächspartner betrachten. Der Verhandlungsrahmen eröffnet aber die Möglichkeit, dass einzelne Mitgliedsländer ihren Arbeitsmarkt auf die Dauer für türkische Arbeitnehmer blockieren. Rehn erinnerte auch an das „oft vergessene vierte Kopenhagener Kriterium“, wonach nicht nur das Kandidatenland die Voraussetzungen erfüllen muss, um aufgenommen zu werden. Auch die Union müsse finanziell und von ihrem Aufbau her das neue Mitglied verkraften.

Damit spielt die Kommission auf die Krise an – den unterbrochenen Verfassungsprozess und die aufgeschobenen Finanzverhandlungen. Es sei nun Aufgabe der Regierungen, in ihren Ländern ein positives Klima für den Türkeibeitritt zu schaffen.

Damit spielt die Kommission den Ball ins Feld der Mitgliedsstaaten zurück. Nicht die EU-Kommission hat, sondern die Regierungen haben eine neue Erweiterungsrunde beschlossen. Sie sind überzeugt, dass eine demokratische und wirtschaftlich starke Türkei von überragender strategischer Bedeutung für die Union ist. Das sollen sie, so Rehn, auch ihren Wählern klar machen.

Diese schwierige Aufgabe können sie in aller Ruhe in Angriff nehmen. Denn vor Ende der kommenden Finanzplanung kommt ein Beitritt nach Überzeugung des Erweiterungskommissars nicht in Betracht. Frühestens 2014 wird die Türkei EU-Mitglied. DANIELA WEINGÄRTNER