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Männer in Nöten

Premieren am vergangenen Wochenende: „Falstaff“ von Giuseppe Verdi an der Komischen Oper, „Der Schatzgräber“ von Franz Schreker an der Deutschen Oper

Von Niklaus Hablützel

Christof Loy, der Regisseur, gräbt gerne nach vergessenen Schätzen der Musikgeschichte. Er freut sich an allem, Fragen des Geschmacks interessieren ihn nicht. An der Deutschen Oper hat er vor vier Jahren „Das Wunder der Heliane“ von Erich Wolfgang Korngold auf die Bühne gebracht. Publikum und Presse waren überwiegend glücklich darüber.

Jetzt war Korngolds Zeitgenosse Franz Schreker dran. Seine Oper „Der Schatzgräber“ ist 1920 in Frankfurt uraufgeführt worden und war sofort ein riesiger Erfolg, wie fast alles, was Schreker in seinem kurzen Leben auf die Bühnen brachte. Er starb 1934 im Alter von 56 Jahren. Wie bei Korngold geht es im Text, den er sich selber schrieb, mal wieder um die Frau an sich. Die Mutter, die Hure, die Heilige, und so weiter. Hier heißt sie „Els“, ist Kellnerin in der Kneipe ihres Vaters, der sie mit allen möglichen Junkern verheiraten will. Sie will keinen von ihnen haben und schickt sie alle mit Einkaufszettel zum Hehler, der den geraubten Schmuck der Königin verkauft. Denn sie hat Albi zur Hand, den Jungen, der die Junker auf dem Rückweg umbringt und ihr den Einkauf nach Hause bringt, weil auch er sie haben will. Grabschen darf er dafür schon, vögeln aber nicht, wie bei Loy ungeniert zu sehen ist, der daran nichts zu deuten findet.

Also eher Hure als Heilige, aber dann kommt der Schatzgräber: Elis, der Sänger mit der Zauberlaute, die alles findet, was aus Gold und Edelsteinen besteht. Geld braucht er deshalb nicht, auch keinen Sex, den er sich jederzeit kaufen könnte. Nur die reine Liebe fehlt ihm, und schon ist Els die Heilige. Els und Elis, die Schankwirtin und der Bänkelsänger, sind das Traumpaar in Schrekers Welt, die ihm offenbar selber mittelalterlich vorkam.

Es ist die Welt des Mittel­standes, der Beamten, Kaufleute und akademischen Berufe, die mit der Weimarer Republik nach dem verlorenen Krieg nicht ­zurechtkamen. Auch Schre­ker nicht. Deshalb wollte er sein Werk, an dem er zwei Jahre lang gearbeitet hatte, in den Kulissen eines romantisierten Mittel­alters spielen lassen. Die Schauplätze sollten Säle eines Königshofes, eine Gastwirtschaft im Wald oder ein städtischer Platz zwischen Giebelhäusern sein. Loy hat alles dorthin zurückgeholt, wo es herkam, und das dann gleich radikal, nämlich in die Weimarer Republik von heute. Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat nur einen einzigen Raum entworfen. Alle Figuren müssen sich in den passenden Kostümen von Barbara Drosihn im Design der Berliner Start-up-Szene bewegen: schwarzer Marmor, schwere Türen, Holztische, Eisenstühle.

Das macht Platz für das Stück. Die Auftragsmorde einer Schmuckfetischistin werden aufgeklärt wie beim „Tatort“ im Ersten. Schon Schreker ließ die Schuldigen nicht hängen. Sie werden nur abgeschoben, was bei Leiacker sehr einfach ist. Der Narr des Königs, der die Kellnerin heiratet, hat plötzlich keine Möbel mehr. Alles leer am Ende, aber die Eremitenklause, an die Schreker dachte, ist derselbe Saal, in dem vorher die königliche Orgie der Männer in sexuellen Nöten stattfand.

Die Auftragsmorde einer Schmuck­fetischistin werden aufgeklärt wie beim „Tatort“ im Ersten

Marc Albrecht hatte für Loy schon Korngolds „Meliane“ mit geduldiger Liebe dirigiert. Schre­ker konnte alles, Albrecht lässt nichts aus, klar und deutlich, oft so laut, wie es in den Noten steht, ist zu hören, dass auch die Musik zurückkehren möchte, nicht ins Mittelalter, aber wenigstens zu Wagner. Gesungen wird ausnahmslos großartig. Daniel Johansson als Elis, Elisabet Strid als Els und Michael Laurenz als Narr erhielten zu Recht Sonderapplaus des begeisterten Premierenpublikums.

Schreker scheint die öffentliche Stimmung zu treffen. Seine Rückkehr nach Berlin hatte an diesem Wochenende allerdings einen schweren Stand. Am Samstag stellte Barrie Kosky an der Komischen Oper seine Inszenierung des „Falstaff“ von Giuseppe Verdi vor. Sie hatte letztes Jahr auf dem Festival von Aix-en-Provence für allgemeine Begeisterung gesorgt. Es ist nicht fair, Verdis nie wieder erreichbaren Höhepunkt der Operngeschichte mit Schreker zu vergleichen, aber die Spielpläne der Berliner Opern sind nicht fair. Unmittelbar hintereinander gehört, war es eine Katastrophe für Schreker. Zu erleben war der ganze Kosky, Dragqueen und nackter Arsch inklusive, aber auch der Musiker, der in den Proben die Partitur in der Hand hat, nicht das Textbuch. Was so sichtbar als pure Spielfreude und Komik explodiert, steht immer bei Verdi. Nicht alles ist dort komisch, die Oper endet mit einer Fuge von Bachs Gnaden und der melancholischen Einsicht, dass wir alle betrogen sind.

Koskys Chorusline steht dafür einheitlich schwarz gekleidet am Bühnenrand. Der Vorhang fällt, Applaus wie in Frankreich nach der Premiere. In Berlin jedoch war am Samstag die Vorstellung noch nicht zu Ende. Oleksiy Palchykov, Sänger des „Fenton“, trat an die Rampe. Der Tenor ist in Kiew geboren. Ohne jede Begleitung sang er ein ukrainisches Volkslied. Tränen als Applaus.

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