abgestiegen
: Stadtrad – ein ramponiertes Modell

Vor drei Jahren zog es mich für das Studium vom Dorf in die Stadt. Frohen Mutes ließ ich das ein-Bus-pro-Stunde-Kaff hinter mir. Ich malte mir das Mobilitätsparadies Hamburg aus wie ein Tor zur großen, weiten Welt.

Zähneknirschend stelle ich seitdem aber immer wieder fest: Mit S- und U-Bahn kommt man doch nicht in alle Ecken der Stadt, geschweige denn in die große Ecke, die im Norden nur alle „südlich der Elbe“ nennen. Aber egal, Hamburg hat ja nicht nur Bahnen, die sich unter- und oberhalb der Erde durch die Stadt schlängeln, sondern auch über 3.000 spottbillige Stadträder.

Als Digital Native zücke ich, na klar, sofort mein Smartphone und installiere mir im Handumdrehen die App für Hamburgs rote Flitzer. Natürlich habe ich auch ein eigenes Fahrrad, aber flexibel zwischen Bahn und Rad, E-Scooter und Carsharing switchen, das ist der Zeitgeist meiner Generation.

Die Schmetterlinge in den ersten Wochen – unbeschreiblich. Sehe ich eines der wunderschönen roten Velos, kann ich kaum anders als eine Runde zu drehen. Nie mehr als die kostenlosen 30 Minuten versteht sich, als Student muss ich ja trotz allem auf meinen Geldbeutel achten.

Doch in den vergangenen Monaten, so zumindest meine Wahrnehmung, ist unsere Beziehung in einen fast schon toxischen Alltagstrott übergegangen – und ich bin mir sicher: Es liegt nicht an mir!

Das Stadtrad ist nachlässig geworden, es ist immer öfter ungepflegt und oft auch nicht da, wenn ich es am dringendsten brauche. Verbringen wir ab und an doch Zeit miteinander, dann wirkt es meist müde und klapprig. Neulich sprang die Ampel kurz vor uns auf Rot, dann der Tiefpunkt: Fest zog ich an seinen beiden Bremshebeln, woraufhin das Rad ein markerschütterndes Kreischen von sich gab. Die Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmenden lag auf meinem Rad und mir. Ich schaute böse auf den roten Drahtesel, der den störrischen Schrei verursacht hatte.

In der Nacht quälten mich Gewissensbisse. Mir wurde klar: Ich hätte das Stadtrad nicht so anschauen dürfen. Es trägt nicht die Schuld an seinem Zustand, sondern ist bloß Produkt seines gesellschaftlichen Seins.

Es hat nicht selbst entschieden, sich gehen zu lassen. Auch hat es wohl kaum selbst die Riegel an den Stationen herausgerissen, mit denen ich es eigentlich sicher anschließen sollte. Das Stadtrad ist auch nicht dafür verantwortlich, dass es noch nicht Teil der neuen HVV Switch App ist, über die sich fast alle mobilen Services in Hamburg buchen lassen. Immerhin, das soll noch in diesem Jahr etwas werden.

Ist unsere Beziehung überhaupt noch zu retten? Der Einzige, der sie kitten könnte, ist Anjes Tjarks, der grüne Verkehrssenator. Meinetwegen muss er auch nicht jede lose Pedale und alle quietschenden Bremsen eigenhändig reparieren. Niklas Berger