„Die Stadt wird zum Hinterhof“

ROLL BAROCK Ein Leben lang schon verfolgt der Architekturkritiker Bruno Flierl Berlins Planungen. Im taz-Gespräch argumentiert er gegen die Schlossrekonstruktion und für einen Ort des offenen Austauschs der Geschichten von Ost und West

geb. 1927, war in der DDR einer der kundigsten Architekturkritiker und Stadtplanungsexperten. 2000 wurde er in die Expertenkommission Historische Mitte Berlin berufen und gab dort ein Minderheitsvotum gegen den Schlossneubau ab. Im Juli zeigte Flierl eine von ihm in der provisorischen Bauakademie am Kupfergraben eingerichtete Ausstellung zur Geschichte „Mitte Spreeinsel Berlin“. In seiner Darstellung vom Mittelalter bis zur Gegenwart räumte Flierl mit etlichen Mythen der Rekonstruktionsbefürworter auf.

INTERVIEW RONALD BERG

taz: Herr Flierl, lässt sich der als Schloss getarnte Neubau für das Humboldt-Forum in der Mitte Berlins noch verhindern?

Bruno Flierl: Bislang fürchtete ich, nein. Die neue Entwicklung kann ich aber noch nicht einschätzen. Es könnte sein, dass die Regierung durch das Bundeskartellamt und finanzielle Schwierigkeiten zu einer Denkpause veranlasst wird. Bis heute scheint mir für das so sehr gewünschte Schlossbild noch keine befriedigende innere Zwecklösung gefunden zu sein.

Sie haben kürzlich in einer Ausstellung in der Bauakademie noch einmal Argumente dafür vorgebracht, dass die Wahl für die vom Bundestag beschlossene Schlossattrappe auf falschen Behauptungen basiert.

Wolf Jobst Siedlers inzwischen berühmt gewordener Satz von 1990 „Das Schloss lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloss“ ist eine Identitätsbeschwörung. Sie ergab in der Vergangenheit nur für diejenigen einen Sinn, die sich mit der preußischen Geschichte Berlins identifizierten und im Schloss deren Symbol sahen. Die Beschwörungsformel unterstellt, Berlin könne heute nur wieder Berlin werden, wenn es das Schloss hat.

Ist diese Radikallösung zugunsten der Schlosskulisse das falsche Signal im Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung.?

Ja! Das Schloss zielt auf die Wiedererweckung der Vorvergangenheit, also einer Vergangenheit vor der DDR. Das ist retrospektiv gedacht. Allen vernünftigen Leuten aus der DDR war klar, dass der Palast der Republik als Symbolbau der DDR nicht zum Symbol des vereinten Deutschlands werden konnte, sondern dass die Deutschen aufgerufen waren, an diesem Ort eine neue Lösung zu finden – aber nicht retrospektiv, sondern prospektiv. Nur zukunftsorientiert kann man sich an diesem Ort den Fragen nach der Rolle Deutschlands in der Globalisierung stellen.

Was halten Sie denn von der Idee des Humboldt-Forums im Schloss, das sich ja die Begegnung mit den Kulturen der Welt auf seine Fahne geschrieben hat? Könnte es die nur von Touristen bevölkerte Spreeinsel beleben?

Nein. Dieses Humboldt-Forum ist eine Erfindung aus dem Jahre 2001, als eine Expertenkommission die Empfehlung gab, die Staatlichen Museen, die Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek sollten dort eine neue Nutzung zum Thema „Außereuropäische Kultur“ inszenieren – und zwar im Geiste der Brüder Humboldt als Ahnherren einer auf die Welt gerichteten bürgerlich-humanistischen Kultur des 19. Jahrhunderts, wie sie zum Selbstverständnis der Bundesrepublik gehört. Im Grunde geht es um die Stärkung und Erweiterung der Museumsinsel, vor allem auch in Hinsicht auf ihre internationale Bedeutung. Intern war sogar davon die Rede, dass Deutschland hier in Berlin eine Museumslandschaft schaffe, die größer als die des Louvre in Paris sein würde. Was für ein maßloser „deutscher“ Anspruch, immer größer als andere sein zu wollen! Nun auf dem Gebiet der Kultur. Dagegen ist zu sagen: In der Mitte Berlins sollte mehr sein als nur eine bedeutende Museumslandschaft.

Gab es da keinen Widerspruch innerhalb der damaligen Expertenkommission?

„Museumsstücke sind doch nicht die Brücken zur gegenwärtigen Welt“

Bruno Flierl

Sehr wohl gab es den. Gegen den vordergründig staatsrepräsentativen Charakter eines Forums wurde der Begriff der Agora ins Spiel gebracht. Das vom Marktplatz der griechischem Polis abgeleitete Wort sollte einen Ort bezeichnen, an dem die Leute miteinander ins Gespräch kommen können, um sich über ihre neue Rolle in der Welt zu verständigen. Und zwar nicht nur hergeleitet von Kunstexponaten, die vor 1900 angekauft oder imperial angeeignet wurden. Solche Museumsstücke sind doch nicht die Brücken zur gegenwärtigen Welt.

Das Humboldt-Forum will ja offenbar „Anders zur Welt kommen“ als bei den bisherigen Museumspräsentationen.

Was jetzt als Titel zur Ausstellung über das Humboldt-Forum mit „Anders zur Welt kommen“ verkündet wird, war eigentlich der Kern dessen, was damals mit Agora gemeint war. „Anders“ heißt eben, indem wir nicht mehr nur Exponate aus den Museen bestaunen, sondern indem wir uns selbst die Frage stellen: Wie kommen wir anders zur Welt? Und ich habe seinerzeit schon hinzugefügt: Wie kommen wir Deutschen neu zueinander? Das wären sinnstiftende Aufgaben für den Ort: nationale und internationale.

Wenn in der Mitte Berlins ein Gebäude in der Kubatur des alten Schlosses und mit dessen barocken Fassaden errichtet wird, was heißt das für die Stadtentwicklung?

Die Maßnahme ist kontraproduktiv, weil das Schloss nämlich aus einer Zeit stammt, wo es als Zitadelle gegen die Stadt gebaut wurde. Im Mittelalter ist das Schloss gegründet worden, in der Renaissance wurde es umgebaut, Schlüter hat das Vorhandene dann barock geadelt und erweitert. Das Schloss gab sich aber auch danach äußerlich verschlossen. Wenn man dieses Bild jetzt wieder aufgreift, dann baut man eigentlich das Bild einer Zitadelle, die für urbanes Leben nicht einnehmbar ist. Die Idee von Franco Stella, einen neuen Durchgang durchs Schloss städtisch zu nutzen, ist ein interessanter Versuch. Aber die korsetthafte Formvorgabe mit der äußeren Reproduktion des alten Schlosses widerstrebt der Aufgabe, diesen Ort als einen öffentlichen und kommunikativen Raum zu entwickeln.

Müsste man nicht auch das Umfeld dieses Gebäudes mit in die Planungen einbeziehen, damit es sich nicht vom Stadtkörper isoliert?

In den bisherigen Planungen zum Umfeld des Schlosses bleibt unberücksichtigt, wie es östlich davon, also jenseits der Spree bis zum Alexanderplatz, in der Stadt weitergehen soll. Seit Jahren gibt es dazu Pläne des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann, auf dem Grundriss der gotischen Stadt – so sein Ausdruck – das Bild der Altstadt von Berlin aufzubauen. Das Schloss hätte damit keine Chance, sich nach Osten zu öffnen und irgendwie angebunden zu werden, sondern es wird mit seiner Schauseite allein zur Straße Unter den Linden orientiert, wie es das Ergebnis der historischen Entwicklung darstellt. Der Rest der Stadt war, vom Schloss aus gesehen, so etwas wie sein Hinterhof.

In die Debatte um den Wiederaufbau ist wieder Bewegung gekommen. Am gestrigen Freitag hat die Vergabekammer des Bundeskartellamtes den Vertrag mit dem italienischen Architekten Franco Stella über den Bau des sogenannten Humboldt-Forums für ungültig erklärt. Das Gremium fordert nun eine Wiederholung des Vergabeverfahrens ab Zeitpunkt der Preisgerichtsentscheidung. Was das genau bedeutet, war zunächst noch unklar. Das Bundesbauministerium kündigte umgehend eine gerichtliche Überprüfung des Beschlusses an und zeigte sich überzeugt, dass die Verfahrensstreitigkeiten mit dem Berliner Architekten Hans Kollhoff den Bau des Humboldt-Forums nicht verzögern. Der Bau des Humboldt-Forums nach den Entwürfen von Franco Stella soll 2010 beginnen.

Mit welchen stadtplanerischen Möglichkeiten könnte man dem begegnen?

Entscheidend für die Rolle des zukünftigen Schlosses als Humboldt-Forum in der Stadt ist aber die Frage der räumlichen Anbindung an ein inzwischen anders gewordenes Berlin. Es steht zur Frage: Rückbau in die Vergangenheit oder Weiterbau an der heute veränderten Situation mit einer Ost-West-Durchwegung im Zentrum von beiden Seiten auf die Spreeinsel hin. Falls man die östliche Seite mit dem Bild der historischen Stadt zubaut, würde das Schloss nur von Westen zu sehen sein, faktisch ganz im Kontext der Museumsinsel aufgehen. Denn wenn der Raum bis zum Alexanderplatz geschlossen wird und also nicht akzeptiert wird, dass die Stadt in der Zeit nach dem Krieg von dort bis zu den Linden zu ihren Gunsten räumlich entwickelt wurde, dann ist das neue alte Schloss für die Stadt verloren.

Ist das Schloss als Symbol des historischen Rollback nicht ohnehin eine Art Rammbock, der den Weg für historische Rekonstruktionen auch andernorts freimachen soll?

Natürlich. Hans Stimmann hat neulich erst gesagt: Nun haben wir das Schloss wieder, jetzt müssen wir die historische Altstadt auch wieder aufbauen. Das Schloss wird als Basis benutzt, von der aus gedacht wird. Geschichte gilt als sicherer Ort der Identitätsstiftung. Es handelt sich nicht um Vergangenheitsbewältigung, sondern es geht um die Rückkehr zur Vorvergangenheit, um die unmittelbare Vergangenheit der DDR in Berlins Mitte auszulöschen. Meine Diagnose zum gegenwärtigen Umgang mit Geschichte lautet: Deutschland bringt es bislang nicht fertig, die Planungen aus unterschiedlichen Epochen, aus Ost und West, dialektisch miteinander aufzuheben zu etwas Neuem, das Zukunft in sich hat.