Anonyme Geburt etwas legaler

HelferInnen von anonymen Geburten machen sich nicht grundsätzlich strafbar. Die Einstellung des Verfahrens gegen MitarbeiterInnen einer Neusser Klinik geht Vorkämpfern aber nicht weit genug

VON NATALIE WIESMANN

GeburtshelferInnen in NRW sind erleichtert über eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf. Die hatte am Mittwoch ein Verfahren gegen MitarbeiterInnen des Johanna-Etienne-Krankenhauses in Neuss eingestellt. Dort werden seit Jahren sogenannte anonyme Geburten durchgeführt. Gegen zwei Frauen, die Anfang Januar dort entbunden haben sollen, wird jedoch weiter ermittelt.

Bei anonymen Geburten erhalten verzweifelte Frauen eine kostenlose medizinische Versorgung, ohne ihren Namen nennen zu müssen. Das Neugeborene bleibt in der Klinik und wird zur Adoption freigegeben. „Anonyme Geburten sind das beste Mittel gegen die Aussetzung von Babys“, sagt eine Krankenschwester aus Paderborn, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Denn das Verfahren ist rechtlich umstritten. Zwei mögliche Delikte wirft die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zwei unbekannten Müttern vor, die in der Neusser Klinik anonym entbunden haben sollen: Personenstandsfälschung sowie die Verletzung der Unterhaltspflicht. Das erste bezeichnet den Umstand, dass die Mutter dem Standesamt die Geburt ihres Kindes nicht meldet, sondern in die Anonymität verschwindet. Zudem entziehe sich die Frau dadurch auch der gesetzlichen Unterhaltspflicht. Gegen die MitarbeiterInnen der Klinik wurde wegen Verdachts auf Anstiftung oder Beihilfe ermittelt.

Zwar können verzweifelte Frauen ihre Säuglinge auch in den 20 Babyklappen in Nordrhein-Westfalen ablegen. Das sei aber nur die zweitbeste Lösung, sagt die Paderborner Krankenschwester. „Diese Mütter bringen ihre Babys oft unter untragbaren Umständen zur Welt.“

Viele Kliniken führen daher mittlerweile anonyme Geburten durch. Weil sich aber die Ärzte und Krankenschwestern bisherzumindest juristisch in einer Grauzone bewegen, halten sich die meisten mit Stellungnahmen zurück. Neben der Neusser Klinik propagiert nur noch das Sankt-Anna-Hospital in Herne offensiv eine „Geburt ohne Angst“.

„Für uns stand immer außer Frage, dass wir richtig handeln“, sagt Hospitalsprecher Rainer Achterholt. Die für seine Klinik zuständige Staatsanwaltschaft in Bochum habe auf Anfrage bestätigt, dass sich die HelferInnen bei anonymen Geburten nicht strafbar machten.

Die Einstellung des Verfahrens wird in der Neusser Klinik mit Freude aufgenommen. „Dies bestätigt uns in unserem Bemühen, den Müttern und den Kindern in einer schwierigen Situation Hilfe zu gewähren“, so Paul Neuhäuser, Geschäftsführer der Augustinus-Kliniken, zu denen das Johanna-Etienne-Krankenhaus gehört. Das ist ein „Freispruch erster Klasse“ kommentiert Rechtsanwalt Cornel Hüsch, der das Krankenhaus vertritt. Einziger Wehrmutstropfen sei, dass die Staatsanwaltschaft von einer Strafbarkeit der unbekannt gebliebenen Mütter ausgeht. „Hier muss der Gesetzgeber handeln“, sagt Hüsch.

Im Bundesrat wird eine Legalisierung der anonymen Geburten bereits seit Jahren kontrovers diskutiert. Baden-Württemberg will sie möglich machen. Bayern schlägt eine „diskrete Geburt“ vor, bei der eine Beratungsstelle die Daten der Gebärenden aufnimmt und sie versiegelt dem Standesamt übermittelt. Die ehemalige rot-grüne Landesregierung in NRW stand diesen Entwürfen skeptisch gegenüber. Die neue Regierung konnte bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme dazu abgeben.

Die Menschenrechtsorganisation „Terre des Hommes“ lehnt anonyme Geburten und Babyklappen gleichermaßen ab. Dadurch würden Frauen erst zur Aussetzung ihres Kindes verführt, sagt Gerd Faruß, Sprecher der Ortsgruppe in Neuss. Eine Befragung von Müttern, die ihre Neugeborenen getötet hatten, habe zudem ergeben, dass die meisten von ihnen nicht auf das Angebot anonymer Geburten zurückgriffen hätten.