berliner szenen Sonnenlicht im Gesicht

Die Liebenden vom Dach

Plötzlich kommt Bewegung in das schwarze Bündel. Ich hatte es für Müll gehalten, verlorene Decken vielleicht – was schon außergewöhnlich genug wäre –, und bemerke nun: Dort erwacht ein Mensch. Räkelt sich. Streckt sich. Zwei Arme erscheinen, ein schwarzgelockter Kopf, ein Oberkörper schält sich aus dem Bündel. Dem Mann muss heiß sein. Es ist neun. Die pralle Sonne brennt schon seit Stunden auf das schwarze Dach.

Nun rührt sich auch die andere Seite des Haufens. Ans Tageslicht gelangt eine junge Frau. Sie fischt nach Kleidung, zieht ihr Shirt an. Wird sogleich umarmt. Wird geküsst. Zärtlich hält er sie. Umschlungen sitzt das Paar und schaut in diesen Morgen. Die Dächer Berlins im Blick und den Horizont, das warme Sonnenlicht auf den Gesichtern.

Nach einer Weile pellen die beiden sich ganz aus ihrer nächtlichen Behausung. Bringen Kleider in Ordnung, ziehen Schuhe an, stehen auf. Und als wollten ihre Körper einfach noch nicht loslassen, umarmen sie sich, stehen eng umschlungen lange auf dem heißen Dach. Sehr verliebt sehen sie aus, als würden sie auf einen der wärmsten Sommer ihres Lebens zusteuern.

Ich betrachte das Dach. Wo auch zwei gut gepflegte Katzen wohnen und sich durch waghalsige Kletterei fit halten für die Jagd, wo manchmal Nachbarn hinaufsteigen, um Sonnenuntergänge zu sehen oder den Mond. Wo niemals Gegenstände lagen anderntags. Die beiden rollen die Isomatten auf, raffen die Schlafsäcke zusammen und verschwinden hinter den Schornsteinen.

Das Paar hatte einen klaren Sternenhimmel über sich in dieser Liebesnacht, den beinahe runden Mond, während ich hier unten schlief. Vergnügt segle ich hinaus in den Tag.

GUNDA SCHWANTJE