Die Zerlegerin mit den Äxten

Verity Susman ist Teil der britischen Band Electrelane, die den Postrock nonchalant dekonstruiert und dabei nur gelegentlich singt. Jetzt ist Susman von Brighton nach Berlin gezogen – mit dem neuen Album „Axes“ im Gepäck. Ein Treffen im Café

VON RENÉ HAMANN

Es gibt immer noch wenige Frauen im Rock. Umso erstaunlicher, wenn man dann auf eine trifft, die ihr Auftreten und ihre Musik für so selbstverständlich nimmt, dass sie sich um Genderfragen kaum kümmert. Was auch an ihrer Musik liegt: Verity Susmans Band Electrelane machen Postrock mit gelegentlichem Gesang. Krautrock aus England, der ebenso von Männern hergestellt sein könnte. Eine ganz und gar unwahrscheinliche Kunstmusik, die hauptsächlich aus Zerlegen besteht. Aus Nonchalance, Raffinesse und Eleganz.

Gerade ist Verity Susman, wie so viele andere zurzeit, nach Berlin gezogen – in diese Stadt, die besser als jede andere zu Susmans Zurückgelehntheit zu passen scheint. Sie lernt ein wenig Deutsch, indem sie Zeitung und Hermann Hesse im Original liest, sie hat eine Wohnung in Friedrichshain. Vorher hat sie in Brighton gelebt, wie die anderen ausschließlich weiblichen Mitglieder ihrer Band auch. Dann sind sie alle nacheinander weggezogen, haben sich nach Los Angeles, London und Prag verstreut. Und Verity Susman ging nach Berlin. Warum Berlin? Weil sie die Stadt mag, erzählt sie beiläufig. Weil sie hier Freunde hat. Und weil man hier so billig leben kann. Und was gab es für Gründe, ihre Heimat zu verlassen?

Sie erzählt von Brighton, der Musikszene dort. Electrelane ist eine vergleichsweise kleine Band. In der englischen Indieszene ist sie dennoch bekannt, sie können sogar von ihrer Musik leben. Genau das Stadium also, in dem man sich als Band zurücklehnen und die Dinge souverän angehen kann. Genau das, in dem man, wie sie sagt, den englischen Sarkasmus und die Celebritygeilheit nicht gebrauchen kann. Wobei sie eigentlich nicht von „Geilheit“ spricht, sondern von „Culture“ – „Celebrity Culture“.

Dass es in Deutschland, auch nach dem Ende der Castingshows, kaum anders aussieht, ist ihr egal. Berlin sei eine ganz andere Stadt als Brighton, sagt sie. Keine Prominenz, keine Stereotypen. Dafür eine Sachlichkeit, nach der man auch in ganz anderen Zusammenhängen vergeblich sucht.

Wenn Verity Susman redet, dann sagt sie ihre Sätze übrigens in einem freundlichen, charmanten Ton, der auf Professionalität in der Interviewsituation verweist. Nur manchmal hat man das Gefühl, sie amüsiere sich. Dann ist da ein verwegenes Lächeln, dann rollt sie ein klein wenig mit den Augen.

Auch wenn sie sich dann auf der Bühne von der unauffälligen Frau, die man im Café kaum in die Kategorie Popstar stecken würde, in eine Attraktion verwandelt: Ihre Stimme fügt sich immer in die Musik, wird zu einem weiteren Instrument. Manchmal blass, immer persönlich. Und meistens singt Verity Susman sowieso nicht, sondern spielt Klavier, Saxofon oder Gitarre. Wie auf den beiden Vorgängeralben sind auch auf dem neuen Album „Axes“ die meisten Stücke instrumental.

Der Titel der neuen Platte leuchtet ein. Weibliche Dekonstruktion, aber ganz ohne Krafthuberei oder andere Verkrampfungen. Produziert wurde sie von Steve Albini, dem Soundmaniac und Nirvana-Produzenten, von dem es mindestens heißt, dass er kein einfacher Mensch sei. Aber die Aufnahmen seien ohne Probleme abgelaufen, wie Susman nebenbei erwähnt. Die Platte klingt für die kurze Einspielzeit, für die kurze Zeit zwischen Einspielung und Veröffentlichung erstaunlich abgeklärt. Hart, experimentell, aber auch sehr gelöst und einfach schön.

Besonders gern mag Verity Susman Coverversionen. Electrane haben schon Bryan Ferry und Bruce Springsteen gecovert. Die beste vorstellbare Version von „I’m on Fire“. Auf „Axes“ befindet sich ein Song von Leonard Cohen: „The Partisan“. Programmatisch? Aber ja! Susman sagt, sie könne sich auch vorstellen, Songs für Männer zu schreiben. Männer, die Songs von Frauen singen, Frauen, die Songs von Männern singen. Auch dass die neue Bassistin wieder eine Frau ist, erzählt sie, sei Zufall. Eine Freundin, die sich angeboten hat. Grundsätzlich hätte es aber auch ein Mann werden können. Sagt sie und lächelt. Unauffällig. Und trotzdem souverän.

Die Aufnahme des Interviews auf meinem Diktiergerät hätte Verity Susman übrigens bestimmt gefallen. Hohes Grundrauschen, fremde Geräusche, gelegentlich ein entferntes, aber lautes Lachen. Und über dieser Soundkulisse ein bis zwei Stimmen, die auf geringer Frequenz fragen und antworten. Nicht immer ist alles zu verstehen, klingt aber lässig.

„Axes“ von Electrelane ist bei Too Pure/Beggars Group/Indigo erschienen