piwik no script img

Fußball mit Kirmes-Charakter

Das turbulente und unterhaltsame 4:3 im Spiel um Platz drei gegen Mexiko bildet den Schlusspunkt eines Confederations Cup, der dem deutschen Team Spaß, Identifikation und die schleichende Rückkehr zur Defensiv-Ideologie früherer Tage brachte

Sanfte Rückkehr vom Hurra-Stil zum sicherheitsbetonten Völler-Fußball

AUS LEIPZIG MATTI LIESKE

Am Ende erwiesen sich die Mexikaner doch noch als Spielverderber. Es passte einfach nicht, dass Luis Perez kurz vor Schluss den Ball knapp am linken Pfosten des deutschen Tores vorbeischob, statt zum 4:4 zu treffen. Schließlich hatte dem Match um Platz drei beim Confederations Cup die ganze Zeit ein Hauch von Kirmesfußball angehaftet, und es hätte daher unbedingt ein Elfmeterschießen verdient gehabt. Aber auch so bot der 4:3-Sieg des DFB-Teams ein prächtiges Spektakel, leicht getrübt nur von den verbissenen Zuschauern im Zentralstadion von Leipzig, die nach der völlig berechtigten roten Karte für Mike Hanke (54.) jede Aktion der Mexikaner oder des Schiedsrichters mit einem gellenden und nervtötenden Pfeifkonzert bedachten. Ein Vorgeschmack, was den Freunden aus der Welt nächstes Jahr blüht, wenn sie zu aufmüpfig werden.

Weder Bundestrainer Jürgen Klinsmann noch Kapitän Michael Ballack hatten sich jedoch am partiellen Negativismus der Zuschauer gestört, sondern sprachen von einem „fantastischen Publikum“. Das deutsche Team hatte sich sogar per Transparent für die „phänomenale Unterstützung“ (Klinsmann) während dieses Cups durch die Fans bedankt, von denen einige zudem erkennen ließen, dass sie brav die Pressekonferenzen des DFB im Fernsehen verfolgen. Da war Klinsmann tags zuvor gefragt worden, ob es ihn nicht störe, dass niemand seinen Namen rufe so wie früher den von Rudi Völler. Dies störe ihn nicht, wichtig sei die Mannschaft, hatte Klinsmann gesagt, prompt erschallten am Mittwoch „Jürgen Klinsmann“-Sprechchöre in Leipzig. Das freue ihn, aber wichtig sei die Mannschaft, kommentierte Klinsmann sein Namens-Coming-Out. Der Sieg gegen Mexiko war die perfekte Abrundung eines Turniers, das dem DFB-Team weit besser geriet, als es dessen Chefs wohl vorher gedacht hatten. Die erkleckliche Anzahl der erzielten Tore (15) machte die ebenso erkleckliche der kassierten (11) locker wett, der Poldi-Schweini-Merti-Huuuth-Jugendkult sorgte für Identifikation mit dem Team, drei Siege in fünf Spielen sowieso, und die respektablen Partien gegen Argentinien (2:2) und den Cupsieger Brasilien (2:3) beeinträchtigten kaum den Gesamteindruck, auch wenn der ersehnte Sieg gegen einen „Großen“ wieder ausblieb.

Als solchen mochten Ballack und Klinsmann die Mexikaner dann doch nicht einstufen, obwohl sie in der Fifa-Rangliste auf Platz sechs liegen und ein starkes Turnier gespielt hatten. In Leipzig legten die Mittelamerikaner jedoch ein recht friedfertiges Tempo vor, das den Deutschen, die unter Druck Probleme mit der Ballkontrolle haben, entgegen kam. Den Brasilianern und Argentiniern hatte Mexikos Abwehr nie so viel Raum gelassen wie Deisler vor dem ersten Tor oder Hinkel vor dem zweiten. Die Art, wie das DFB-Team dies nützte, war allerdings imposant. Zwei prächtig herauskombinierten Treffern von Podolski (37.) und Schweinsteiger (41.) folgte einer nach Ecke aus dem Gewühl durch Huth (79.), und dann glückte Ballack nach länger Zeit mal wieder einer seiner ronaldinho-artigen Freistöße (97.) – eine repräsentative Auswahl aus dem Ratgeber „100 Arten, ein Tor zu erzielen“, den Klinsmann vermutlich bei Amtsantritt als DVD an die Spieler verteilt hat.

Die Fähigkeit zum erfolgreichen Torschuss ist die größte Veränderung zur Ära Völler, zumindest zu deren Endphase. Dies hängt nicht zuletzt mit dem Input der Angriffsspieler Podolski und Schweinsteiger zusammen, die jetzt die Reife haben, die ihnen vor Jahresfrist noch fehlte, und mit einem Sebastian Deisler, der sich nach hektischem und fahrigem Beginn im Turnier stetig steigerte. Ballack hat so die Möglichkeit, seine Torgefährlichkeit, Präsenz und Integrationskraft einzubringen, während seine Schwächen im kreativen Bereich nicht mehr so ins Gewicht fallen.

Insgesamt brachte der Confed-Cup dem deutschen Team eine sanfte Rückkehr vom Hurra-Stil zum sicherheitsbetonten Völler-Fußball, und auch verbal trat im Turnierverlauf die dritte Säule der Klinsmann-Rhetorik neben „Lernen“ und „Wachsen“ zunehmend in den Hintergrund: das „mutige und aggressive Spiel nach vorn“. Ballack ist ebenso wie Torhüter Kahn ein Anwalt der These, dass offensives Spiel nicht defensive Vernachlässigung bedeuten darf. „Man muss in der Defensive gut stehen, um Sicherheit zu gewinnen“, sagte der Kapitän und fügte hinzu: „Man kann auch so nach vorne spielen.“ Als Beleg führte er die Zeit nach dem Platzverweis an, als die Mannschaft hinten „kompakt gestanden“, sich aber trotzdem Torchancen herausgespielt habe. Ein Dorn im Auge waren Ballack die Gegentore durch Fonseca nach Frings-Fehler (40.) und den kopfballgewaltigen Borgetti (58./85.). Das müsse sich ändern, forderte der 28-Jährige, fügte aber hinzu. „Ich bin stolz auf meine Mannschaft“. Was hochgezogene Augenbrauen hervorrief, schließlich dachten alle, es sei Klinsmanns Mannschaft.

Mike Hanke könnte sich mit seinem dummen Platzverweis schon jetzt aus dem WM-Kader gespielt haben, zumal er mit zwei bei der WM abzusitzenden Spielen Sperre rechnen mcupsuss. „Die Karte kriegen wir weg“, behauptete zwar Klinsmann, doch dürfte er die Fifa kaum so im Griff haben wie den DFB. Aus dem Kader gespielt hat sich offenbar auch ein anderer. Während sich Spieler und Stab des deutschen Teams vom Publikum feiern ließen, stand weit abseits DFB-Mitpräsident Gerhard Mayer-Vorfelder, früher bei solchen Anlässen stets mittenmang. Nun musste er ersatzweise den zwielichtigen Jack Warner, Fußballpräsident Mittel- und Nordamerikas, umarmen. Es schien, als wollte er ihn vor lauter Verzweiflung gar nicht mehr loslassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen