kritisch gesehen: In jedem Menschen steckt ein Clown
Kommt ein Clown in ein Hotel – so könnte ein Witz anfangen. Es ist derweil der Titel eines neuen Stücks der Autorin, Tänzerin, Regisseurin und Choreografin Judith Kuckart, das in Bremen im Theater am Leibnizplatz Uraufführung feierte. Das Hotel ist eine Absteige in der Nähe des Flughafens Moskau-Sheremetyevo. Ein Mann und eine Frau, deren Flüge nach Bremen abgesagt wurden, begegnen einander – und Gott himself.
Gott? Warum nicht! Vor Jahrhunderten schon sorgten Clowns und Priester schließlich in Personalunion für die spirituellen Bedürfnisse der Gesellschaft. Und nicht nur für Judith Kuckart ist der Clown ein vernachlässigter Aspekt des Menschseins an sich. Was den Abend konzeptionell sogleich über die Witz-Ebene erhebt. Die dann aber doch eine, wenn nicht die zentrale Rolle spielt.
Der Flirt zwischen Mann (Markus Seuß) und Frau (Svea Auerbach), die sich ihr Clown-Sein nur zögerlich offenbaren, auch weil Gott (Erik Roßbander) immer wieder dazwischen funkt, führt beide schließlich zu ihrem anarchischen Kern: zum Clown in jedem Menschen. Ein echter Clown, Matthias Romir, hat das kleine Ensemble dafür während der Proben mit Handwerk gewappnet. Was sie gelernt haben, zeigen Auerbach, Seuß und Roßbander mit oft unwiderstehlicher Präsenz in klassischen Clowns-Verfahren: bei der Jonglage mit einer Dose Erdnüssen, auf dem Minifahrrad, beim sorgsam choreografierten Flirt mit dem Desaster. Und nicht zuletzt bei einem tatsächlich Grenzen überschreitenden, ja furiosen Ausflug Gottes ins Publikum. Das ohne Masken im ausverkauften Saal den süßen Duft der Anarchie begierig aufnahm. Auch wenn es sich ein wenig seltsam anfühlte bei den ungeplanten Bezügen zur Gegenwart.
Die Geschichte, die Kuckart auf Grundlage von Texten des Ensembles darum gesponnen hat, geriet darüber ins Hintertreffen. Klar, die beiden gestrandeten Clowns, sie kommen schon noch zueinander, auch wenn Gott – wer sonst? – das letzte Wort hat: Am Ende zieht er lapidar den Stecker.
Andreas Schnell
„Kommt ein Clown…“, Theater am Leibnizplatz, Bremen, wieder am 18. 3. und 9. 4., 19.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen