Was vom Kanzler der Herzen bleibt
: Danke, ab!

Eine Träne, kein Trost: Wem wir nun doch nachweinen werden

Die Bilder kommen mit dem heutigen Akt nicht zur Deckung. Sie, die rot-grünen Macher der Berliner Republik sprechen regungsarm, um nicht zu sagen, teilnahmslos über das, was sie heute aus eigener Kraft – und mit herzlichem Schub der Schwarz-Gelben – beschließen werden: dass sie, die Vertreter der Generation der 68er und Ur-Realo-Grünen nicht mehr den Ton in dieser Regierungsrepublik angeben wollen.

Es hört sich in den letzten Tagen und in diesen Minuten erst recht an wie eine komplizierte Regelung um einen Nachlass, bei dessen Verwaltung sich alle Erben gleichmütig nicht im Wege stehen wollen. Dabei ist es ein trostloser Vorgang. Nicht mehr im Amt sein will eine Regierung, an die man sich in Bälde sehr gern, ja sogar sehnsuchtsvoll erinnern wird. Eine, die in Suchbewegungen operierte, die mit Expertengruppen und organisierter Großkommunikation herausfinden wollte, was geht und was eben nicht geht.

Es war die erste deutsche Regierung der Nachkriegszeit, die sich selbst nicht als Verhinderer und Verbieter verstand, sondern als Ermöglicher, also als Moderatorin pluraler Haltungen und Interessen – in Fragen der Gentechnik, der Familienpolitik, der Homoehe, des Multikulturalismus, der alternativem Energien und des Sozialstaats.

Es war eine Regierung, so muss man das in der Vergangenheitsform schon jetzt sagen, die nicht davon lebte, die ganz anderen zu deckeln, zu demütigen und zu bekämpfen, sondern im besten Sinne so etwas herauszufinden suchte, was das Gemeinwohl genannt werden kann. Es war die erste wirklich liberal grundierte Regierung, die sozialdemokratisch angeführt wurde, eine, die keinen mächtigen Lobbygruppen allein verpflichtet schien, sondern, Referenz an die Vielfältigkeit der Gesellschaft schlechthin, möglichst vielen, am besten allen Interessen.

Das Problem ist nicht nur, dass sie die Folgen der Globalisierung in ökonomischer Hinsicht nicht abzufedern vermochte, sondern dass eben dieses Problem zugleich eine Mentalität der Entscheidungsschärfe wieder in moralisches Recht gebracht hat. An die Regierung kommen wird jetzt eine Formation, die möglicherweise auch zu moderieren versteht – sonst hätte Angela Merkel den Sprung in den Kandidatinnenrang nie geschafft.

Es liegt eine Stimmung von bedingungsloser Entschlossenheit über diesem Land, und das genau ist der Unterschied zu den Rot-Grünen. Das ist wieder genau die gleiche Tatkraft, von der ganz Konservative und im übrigen auch die ganz Linken um Lafontaine und Gysi träumen: eine Republik jenseits von Moderation und mehr hin zu aufgewühlter klassenkämpferischer Grundgefügigkeit.

Was sich jetzt selbst abwählt, ist das, was bei ihren Gegnern Gewusel, Chaos und Anarchie genannt wird. Was jetzt inthronisiert werden möchte, muss man sich vorstellen als eine Regierung der Desintegration und der Rennaissance von Werten, wie sie in unseren falschen Fuffzigern gern gehabt wurden. Ein Deal des patriarchalen, des Durchgreifens, des Bestimmens und des Wegschneidens. Das ist eine Atmosphäre, die die Rot-Grünen tragischerweise selbst befördert haben.

Vielleicht waren sie wirklich sieben Jahre lang zu vorsichtig, zu lasch und zu warm in der Anmutung ihres Handelns. Könnte sein, dass sie vielleicht wirklich mit zu wenig Feindbildern operiert haben. Tragisch ist auf jeden Fall nur, dass die rot-grünen Regierungsmenschen so tun, als sei ihrer Arbeit keine Träne hinterherzuweinen. Schröder, auch dies wird durch die Bilder der letzten Tage belegt, scheint immerhin dies begriffen zu haben.

Mehr als das, was er mit seiner Koalition zu realisieren versuchte, ein Regierungsdeal in einer sehr ausdifferenzierten Gesellschaft, hat seinen Abgang, falls nicht ein Wunder geschieht, selbst gewählt. Es gibt viele Gründe, dieser Regierung nachzutrauern. Das mag noch einige Monate dauern, und dies hinge nicht davon ab, ob und wie sehr die Schwarz-Gelben den Sozialstaat weiter schwächen. Es ist nur der Unterschied im Ganzen. Dort die Tatversessenen, hier die Handwerker am Echolot.

Bundeskanzler Schröder guckt nicht wie Willy Brandt 1974 am Ende von dessen Kanzlerschaft, nicht wie der betrogene Weltökonom Helmut Schmidt 1982. Er sieht aus wie einer, der weiß, dass Deutschland mal wieder in Sachen bürgerlicher Selbstaufklärung an sich selbst gescheitert ist. JAN FEDDERSEN